LaMelo Ball, das ausgebuffte Medienphänomen
Mit all ihren Facetten ist die Ball-Saga in Retrospektive sicherlich für jeden halbwegs motivierten Familientherapeuten oder engagierten Soziologen eine Aufgabe, die so manches Semester füllen würde. Für Basketball-Fans ist es derzeit weniger, vielleicht aber eben auch mehr. Denn auch in der NBA mimt LaMelo auf jeden Fall das, was er für eine ganze Generation Teenager in lässig geschnürten Sneakern schon lange ist: Must See TV.
Dabei gibt er neben seinen regelmäßigen Triple-Double-Jagden und vorsichtig formulierten postgame Interviews gar nicht mehr so viel von sich preis. „Manche Menschen halten mich mittlerweile für ein Rätsel und denken, ich wäre irgendwie abgehoben“, sagt der Hornets-Youngster. Im Gespräch mit der Presse klingt LaMelo inzwischen längst wie ein NBA-Veteran, der in jedem PR-Seminar besonders gut aufgepasst hat. „Ein Stück weit gebe ich ihnen sogar Recht und sehe es positiv, dass ich anders bin. So heißt auch mein Slogan – einfach ich selbst sein. Wenn man nur wie jemand anderes ist, hat das nichts. Ich bin einzigartig.“
Charlotte-Coach James Borrego wichtige Bezugsperson auf und abseits des Courts
Und nicht um markige Worte verlegen ist er ebenfalls nicht. Worte, denen er aber eben oft Taten folgen lässt. Spielerisch steht er als Profi trotzdem noch am Anfang seiner Reise, das weiß auch sein Coach James Borrego. Der einstige Lehrling von Gregg Popovich scheint das richtige Ying zu LaMelos Yang zu sein. Zumindest verstehen sich die beiden auch bei manch sportlicher Meinungsverschiedenheit abseits des Courts auf eine spezielle Art und Weise.
Oftmals trifft man LaMelo im Hause Borrego. Nicht etwa um über Basketball zu philosophieren, sondern um Pizza zu essen oder mit den Kindern der Familie im Pool herumzutollen. Hier findet der Junge mit den tätowierten Engelsflügeln auf der Brust seltene Momente der Erdung. Hier kann er abschalten und Kind sein, was ihm früher oft verwehrt blieb. Irgendwo im Herzen hat er es sich bewahrt. Mit seiner Liebe für besonders süße Süßigkeiten und Videospiele, seinem Hang zur Musik und der felsenfesten Überzeugung, das Müsli ein hohe Form der Kulinarik sei. Es ist genau dieses Kind, welches LaMelo Ball auch in den rasanten Jahren seines frühen Erwachsenwerdens nie verloren ging. Und das für seine innovative, erfrischende und lebensfröhliche Spielweise in der Gegenwart unabdingbar ist.
Physis, Defense, Freiwürde – Verbesserungspotenzial ist vorhanden
Ob diese Leichtigkeit des Basketballerseins auch wirklich einen nächsten Level erreichen wird, dürfte die Zukunft zeigen. Warnlampen wie inkonsequente Defense, wenige Freiwürfe oder eine ausbaufähige Physis gibt es genug. Ebenso ist die Auswirkung seines anormalen Profiweges auf sein langfristiges Potenzial ein Buch mit sieben Siegeln. Diese Dinge geraten aber schon jetzt oft in Vergessenheit ob der gezeigten Darbietungen des jungen Kaliforniers.
Er hat es in kürzester Zeit geschafft, im nach NBA-Standards beschaulichen Charlotte eine echte Euphorie auszulösen. Wenn wir ihn fragen, was er noch so von sich erwartet, dann wird die Antwort nur wenig überraschend klingen. Schließlich hat sich die Frage nach einem anderen Weg eigentlich nie gestellt. „Ich habe mich schon immer als Star gesehen. Vielleicht nicht als Rockstar, aber auf jeden Fall als etwas Besonderes“, sagt LaMelo über sich selbst. Und offeriert gleich noch ein weiteres Ziel: „In 15 Jahren möchte ich der beste Spieler sein, den dieses Spiel jemals gesehen hat.“
Ob daraus etwas wird, steht noch in den Sternen. Eines dagegen ist sicher: Eine ganze Reihe Augenpaare werden genau hinsehen.
Text: Moritz Wollert
Dieser Beitrag erschien zuerst in BASKET 03/2022