Dass „TD“ nicht zum absoluten Fanliebling aufsteigt, liegt irgendwo auch an seiner Unnahbarkeit. Auf dem Court ist sie seine größte Stärke, wie ein ehemaliger Gegenspieler einmal sagt: „Er ist der Garri Kasparow (früherer Schachweltmeister, Anm. d. Red.) des Basketballs. Er zermürbt dich mental, weil du ihn nicht provozieren kannst und er immer sein Ding macht.“ Den Fans fehlen dadurch jedoch die Leidenschaft, das Feuer und die Emotionen. Der sportliche Erfolg aber gibt dem heute 39-Jährigen recht, der selbst übrigens einräumt: „In meinen kühnsten Träumen hätte ich mir das alles nicht ausmalen können. Dass ich das mal erreichen würde, ist noch heute unbegreiflich.“

Die Zukunft
Während Duncan auf dem Court auf Anhieb überragend performt, hat er abseits des Feldes Schwierigkeiten. „Tim war neu in der Stadt, und das hat ihn lange beschäftigt“, sagt seine Exfrau Amy und führt aus: „Er hat mich mehrmals am Tag angerufen. Morgens vor dem Training, nach dem Training. Er war aufgeregt, und ich habe gespürt, dass er Zeit braucht, um sich an seinen neuen Alltag zu gewöhnen.“ Dass dem Jungen von den Virgin Islands der gesellschaftliche Wechsel nicht einfach fällt, weiß er selbst am besten. „Ich bin ein ruhiger Typ, der gerne zu Hause ist und nicht immer unterwegs sein muss. Ich mag es, wenn ich meine vertrauten Orte habe und nicht alles neu oder fremd ist“, räumt Duncan später in einem Interview ein. Es ist seine Natur, er ist sehr heimatverbunden. Das zeigt sich auch ein Mal auf dem Court: Als der Big Man mit dem Team USA gegen die Virgin Islands spielen soll, trifft er während des Aufwärmens eine unvorhersehbare Entscheidung. Nachdem er fast jedem gegnerischen Akteur die Hand gereicht und ihn begrüßt hat, setzt er sich auf die Bank und zieht seinen Trainingsanzug während des kompletten Spiels nicht mehr aus. „Das war die größte Wertschätzung, die er uns und den kompletten Virgin Islands entgegenbringen konnte. Diese Geste werden wir ihm nie vergessen“, sagt ein Spieler des gegnerischen Teams, das gegen die USA mit 55:113 verliert. So ist Timothy nun mal: unberechenbar auf dem Court, unberechenbar abseits davon.

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Der Mann, der sich in der Offseason mit Kickboxen, Schwimmen sowie Muay Thai fit hält, lässt Taten sprechen. Er gründet die „Tim Duncan Foundation“, die Hilfsbedürftigen unter die Arme greift und vor allem Krebspatienten unterstützt. Umso bitterer, dass sein Vater 2002 an Prostatakrebs stirbt … Wiederum lässt sich der 113-Kilo-Mann auf dem Court nichts anmerken, wird MVP und im nächsten Jahr Champ. Und jedem ist klar, dass er seinen Kummer, sein Leid und seine Gedanken einfach nicht teilen wird, weil es nicht seine Art ist. Während sportlich alles läuft, schwinden auch die Schwierigkeiten außerhalb der Arena …

Denn Duncan findet etwas, das ihm beim Ankommen in seinem neuen Leben hilft: ein neues Hobby. Sein damaliger Spurs-Kollege Sean Elliott nimmt ihn als Rookie mit auf eine Tour in seinem Sportwagen und entfacht damit eine neue Leidenschaft. Duncan entwickelt eine Liebe zu Autos und gründet später seinen eigenen Car Shop, den er „BlackJack“ tauft, weil beim gleichnamigen Kartenspiel die 21 – seine Trikotnummer – gewinnt. Mittlerweile hat er neun Autos und ließ unter anderem Wagen für Manu Ginobili, Kawhi Leonard sowie David Robinson pimpen. „Wenn ich hierhin komme, ist es, als würde ich in eine andere Welt eintauchen. Das Durchdachte und Strukturierte der Basketballwelt kann ich hier hinter mir lassen und stattdessen freier und kreativer sein. Ich kann machen, wozu ich Lust habe und wonach mir der Sinn steht“, schildert Duncan. In der Offseason ist er regelmäßig im „BlackJack“, wenn er nicht gerade mit Freundin Vanessa, Sohn Draven und Tochter Sidney im Urlaub verweilt. „Auf dem Basketballcourt ist er ein Denker, hier ein Erfinder, fast schon ein Kind“, grinst Geschäftspartner Jason Pena, der seit 18 Jahren mit Duncan befreundet ist und quasi schon bei der Eröffnung des Shops mit an Bord war. Neben dem Surfen und Fischen ist der Car Shop TDs größtes Hobby und mehr als ein Zeitvertreib. „Wenn ich meine Karriere beende, möchte ich hier Vollzeit arbeiten und den Shop vergrößern, einen weiteren eröffnen“, blickt Duncan voraus und lacht. „Ich hoffe, dass ich eines Tages so oft hier bin, dass die Jungs keine Lust mehr auf mich haben.“

Die Erkenntnis
Wann dieser Zeitpunkt kommen wird, wie lange wir „Timmy“ noch in der NBA erleben dürfen, wird er selbst bestimmen. Der 39-Jährige -besitzt eine Player-Option für eine weitere Saison. Zieht er sie, können wir ihn noch ein Jahr genießen. Sollte er sie verstreichen lassen und seine Bilder-buchkarriere bei San Antonio in diesem Sommer enden, wird es jedem Basketballfan gleich ergehen: Er wird sich gerne erinnern: an die glorreichen Zeiten der Spurs um ihren Superstar Tim Duncan; an die fünf Championships, die zwei Season-MVP-Titel, die regelmäßige Teilnahme des Clubs an den Playoffs, die zehn Berufungen ins All-NBA-First-Team und acht ins NBA-All-Defensive-First-Team sowie 15 ins All-Star-Team und, und, und. Und wer sich an ihn erinnert, wird auch seine -Geschichte, seinen Charakter vor Augen haben und ganz sicher feststellen: Tim -Duncan war, ist und bleibt alles, nur nicht langweilig.

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Der Text erschien in der BASKET-Ausgabe 02/2016.