Dass Tim Duncan der beste Power Forward aller Zeiten ist, weiß jeder. Woher er kommt, wie er abseits des Courts tickt und lebt, weiß aber kaum jemand. Dabei ist die Basketballlegende vor allem auch eins: ein besonderer Mensch mit einer ganz speziellen Geschichte.
Langweilig. Seit fast 20 Jahren höre ich dieses Wort im Zusammenhang mit Tim Duncan. Der 2,11 Meter große Power Forward sei zu unspektakulär; seine Spielweise nicht aufregend und unterhaltsam genug; die „Wow-Effekte“ und Highlights würden bei ihm fehlen; ein wirklicher Superstar sei er ja irgendwo auch nicht. Wer Äußerungen dieser Art trifft, stammt (leider) aus dem Tal der Ahnungslosen – eine andere Erklärung kann es nicht geben. Diesen Leuten scheint einfach nicht bewusst zu sein, dass Timothy Theodore Duncan nicht nur der beste Vierer und damit einhergehend einer der besten Basketballer aller Zeiten ist, sondern auch einer der überragendsten Teamplayer und eine der individuellsten Figuren der Sportgeschichte.
Natürlich entspricht der Veteran nicht dem allgemeinen Bild eines Superstars. Er war nie ein Highflyer, Medienstar oder Trendsetter; besaß nie das Showtalent eines Shaquille O’Neal, war nie extrovertiert wie Kevin Garnett, strahlte nie die rücksichtslose Leidenschaft eines Kobe Bryant aus, war nie der vergötterte Allen Iverson. Und doch ist Tim Duncan einer der ganz Großen und ganz nebenbei erfolgreicher als alle anderen hier genannten (Ex-)Superstars. Und das liegt an seinem Charakter, seinem Wesen, seiner Einstellung. Bei einem genaueren Blick auf den 15-fachen All Star wird nämlich deutlich, dass er nicht nur auf dem Court kein Langweiler, sondern vor allem auch abseits des Feldes ein interessanter Typ ist. Seine Geschichte ist ebenso einzigartig wie sein Game. Um das zu verstehen, muss man die Zeit um einige Jahre zurückdrehen. Denn man muss Hugo kennen, der bei all dem eine ganz ausschlaggebende Rolle spielt.
Wer ist Hugo?
Im Zusammenhang mit Tim Duncan muss man Hugo einfach kennen, da die Erfolgsstory, wie wir sie erzählen und miterleben, ohne ihn nie geschrieben worden wäre. Am 25. April 1976 – ja, unter anderem war Helmut Schmidt damals Bundeskanzler, zwischen Bundesrepublik und DDR stand noch die Mauer – erblickt „TD“ in Christiansted auf den United States Virgin Islands das Licht der Welt. Während seiner Kindheitstage mausert sich der Junge zu einem talentierten Schüler und Schwimmer. Kein Zufall, schließlich sind auch seine beiden älteren Schwestern begeisterte Schwimmerinnen. Besonders Tricia, die 1988 als Rückenschwimmerin für die Virgin Islands an den Olympischen Spielen in Seoul teilnimmt, dient ihm als Vorbild. Für den kleinen Timothy steht fest: Er will 1992 in Barcelona an den Start gehen, und gleich über drei Strecken, die 50, 100 sowie 400 Meter Freistil, sind seine Leistungen in der Tat verheißungsvoll. Entscheidend ist sein „Mindset“. Er ist bereit, sich zu quälen, weil er Spaß hat und in seinen Aufgaben aufgeht. Mit Hingabe und großer Ausdauer arbeitet er an sich, um besser zu werden und seinem großen Traum näher zu kommen. Eigenschaften, die ihn Jahre später im Trikot der San Antonio Spurs zur Legende formen werden und seinen Coach Gregg Popovich noch heute schwärmen lassen: „Wenn man sich anschaut, wie er an sich arbeitet, welchen Eifer er aufbringt und wie uneigennützig er dabei ist, wird deutlich, was für ein überragender Charakter in ihm steckt.“
Dass Tim Duncan nicht nach Barcelona fliegt und die Karriere als Spitzenschwimmer nicht realisiert, liegt an Hugo. Auf diesen Namen taufen Meteorologen nämlich den Hurrikan, der im Spätherbst 1989 über den Atlantik braust und unter anderem über die Virgin Islands hinwegfegt. Zurück bleibt ein Bild der Verwüstung, das Tim direkt beeinflusst. Denn das einzige Schwimmbecken mit olympischen Maßen ist zerstört. Der 13-Jährige gibt seinen Schwimmtraum schließlich wenige Monate später auf, als seine Mutter einen Tag vor seinem 14. Geburtstag an Brustkrebs stirbt. Der getrennt lebende Vater informiert Tim und Tricia per Telefon über den Tod ihrer Mutter. „Ich war mit Tim zusammen, als uns die Nachricht erreichte. Ich erwartete, dass er in Tränen ausbrechen und am Boden zerstört sein würde“, erinnert sich seine Schwester und fügt an: „Aber er zog sich einfach nur zurück, saß vor dem Bildschirm und spielte am Computer.“
Das Versprechen
Erst der Hurrikan, dann der dahingeschmolzene Enthusiasmus für das Schwimmen und schließlich der Tod seiner Mutter: Der Teenager ist, wenngleich er es sich äußerlich nicht anmerken lässt, verständlicherweise tief getroffen. „Das war eine sehr harte Zeit“, sagt Duncan Jahre später in einem Interview. Viel mehr bekommt man von ihm nicht zu hören, das ist nun mal seine Art. Nach einigen Saisons in der NBA betont der Power Forward einmal: „Die Leute wissen nicht viel über mich und vor allem nicht, was in mir vorgeht. Und das ist auch gut so.“ Es ist wie auf dem Basketballcourt: Einblicke in seine Seele gestattet der sanfte Riese nur äußerst selten …
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