Trotz sportlicher Höhenflüge und Millionengehältern berichten immer mehr NBA-Spieler von ihren psychischen Krankheiten. Erfolgsdruck und mediale Dauerpräsenz hinterlassen ihre Spuren. DeMar DeRozan und Kevin Love sind die prominentesten Namen der imaginären Liste.

ans und Medien sind gleichermaßen gnadenlos, wenn es um die Bewertung eines Spielers geht: Kyrie Irving sei kein Leader, LeBron James nicht clutch und Dirk Nowitzki – so hieß es immer wieder in seiner Anfangszeit – sei zu weich. Die Kritik ist in der Regel ebenso rücksichtslos wie maßlos. Immer nach dem Motto: „Wer etliche Millionen Dollar im Jahr überwiesen bekommt, verdient kein Verständnis für Momente der Schwäche.“ Auch Carmelo Anthony musste sich in der vergangenen Saison, als ihm nach 16 Jahren auf höchstem Niveau kein NBA-Team mehr einen Roster-Spot anbieten wollte, jede Menge Häme und Respektlosigkeiten gefallen lassen. Dass die erbarmungslose mediale Keule Schaden anrichten kann, Menschen eventuell in psychische Erkrankungen manövriert, das scheint kaum ein Journalist oder NBA-Anhänger zu reflektieren.

DeMar DeRozan wuchs in Compton in Los Angeles County auf (Foto: Getty Images).

Dabei ist es nicht einmal zwei Jahre her, dass die ehemaligen All Stars DeMar DeRozan und Kevin Love ihre persönliches psychisches Leiden öffentlich machten. DeRozan, damals noch im Dress der Toronto Raptors, hatte über Twitter bekanntgegeben, dass er unter einer Depression leide. „Ich schäme mich nicht dafür“, hatte der athletische Swingman Tage darauf in einem Interview gesagt. Der Mut des heutigen Spurs-Spielers inspirierte Kevin Love es seinem Kollegen gleichzutun. Auf „The Player’s Tribune“ verfasste der Big Man, der einst an der Seite von „King James“ die Larry O’Brien Trophy gewann, einen Aufsatz, in dem er detailliert über seine erlittene Panikattacke vom 5. November 2018 schrieb. „K-Love“ ist jedem NBA-Fan als tougher Kämpfer, der auch gegen größten Widerstand Rebound-Duelle für sich entscheidet, bekannt. Er lebt für die harten physischen Auseinandersetzungen unter dem Korb. Scheut sich nicht, mit den mitunter schmerzvollen Ellenbogen seiner Gegenspieler Bekanntschaft zu machen.

Irrationale Todesangst

Doch auf einen Schlag ist für Love alles anders: „Alles drehte sich. Es fühlte sich an, als würde mein Gehirn versuchen, aus meinem Kopf zu klettern.“ Er habe nur schwer atmen können, denn die Luft habe sich sehr dick und schwer angefühlt, berichtet Love und konkretisiert: „Ich hatte das Gefühl, mein Körper wollte mir mitteilen: Du stirbst.“

Den innerlichen Kampf, den er an besagtem Herbsttag in Atlanta führt, behält er für sich. Keiner seiner Teamkollegen soll merken, was er gerade durchmacht. Love sitzt auf der Bank, als die Panikattacke ihren Anfang nimmt. Plötzlich sprintet er in den Locker Room. Dort legt er sich auf den Boden. Alles sei in diesem Moment völlig verschwommen gewesen, wird er später erklären. Ein Mitarbeiter, der Love in diesem Zustand findet, bringt in umgehend in ein Klinik.

Depressionen

DeMar DeRozan wuchs in Compton in Los Angeles County auf (Foto: Getty Images).

„29 Jahre lang dachte ich, psychische Erkrankungen seien das Problem anderer“, schreibt Love. Dabei ist niemand vor Depressionen und Panikattacken gefeit. Weder „Otto-Normalbürger“ noch die ach so heroisch wirkenden Superstars der besten Basketball-Liga der Welt. Laut einer Studie des amerikanischen Gesundheitsministerium aus dem Jahr 2016 leiden rund 44,7 Millionen US-Bürger unter psychischen Erkrankungen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass weltweit rund 350 Millionen betroffen sind. Den Zahlen für Deutschland ist zu entnehmen, dass 23 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrungen wie Love oder DeRozan machen.

Ein brutales System

Auch wenn Spitzensportler empirisch betrachtet genauso gefährdet sind wie jeder andere Mensch, fällt es nicht schwer, nachzuvollziehen, warum Love und DeRozan dieses Schicksal ereilte. Denn die immensen Drucksituationen, denen sie täglich ausgesetzt sind, sind gewaltig: Das System der NBA kennt keine Rücksicht. Die Athleten sind oftmals nur Spielfiguren der GMs, die ihr Erfolgsteam (auf)bauen möchten. Spielt ein Spieler bei den Überlegungen der „Architekten“ keine Rolle mehr, wird er wie auf dem Viehmarkt – oft ohne jede Ankündigung – getradet. So wie DeRozan im Sommer 2018 von Toronto nach San Antonio.

Die Belastungen des Geschäfts sind – daran ändern auch die absurd hohen Gehälter nichts – brutal: 82 Spiele Reagular Season. Das bedeutet (fast) täglich Dauerdruck. Millionen von Menschen weltweit verfolgen jeden Schritt, jeden Wurf, jeden Misserfolg. Analysten zerlegen das Game eines jeden Akteurs bis ins kleinste Detail. Hinzu kommen unzählige Flugreisen quer durch die Vereinigten Staaten. Gemeinsame Zeiten mit der Familie sind unterdessen rar. Im Anschluss an das unglaubliche Pensum der regulären Saison folgen für die Besten der Besten noch die Playoffs, wo die Belastungen sowohl körperlich als auch mental nochmals gewaltig zunehmen. „Do or die“ sagt man im US-Sport schließlich nicht umsonst.

Zudem muss bedacht werden, dass es sich bei DeRozan und Love um Stars der Liga handelt. Bei weniger prominenten Basketballern kommen noch ganz andere Probleme und Belastungen hinzu. So gibt es nur 15 Roster-Spots pro Team. Soll heißen: Es gibt nur Platz für 450 Baller. Jedes Jahr kommen jedoch neue Rookies und wollen sich einen Platz in der NBA erkämpfen. Ergo: Wer nicht gut genug ist, fliegt aus der besten Basketball-Liga der Welt. Spieler, die für ihren Traum von der weltberühmten glitzernden Basketball-Bühne viele Opfer gebracht haben, werden schlussendlich im Draft nicht berücksichtigt und müssen eine Alternativ-Karriere in Europa, China oder sonst wo starten.

Ein Beispiel ist Javon McCrea, den mancher BBL-Fan womöglich noch aus seiner Zeit bei medi Bayreuth oder den Tigers Tübingen kennt. Der 26-jährige Big Man, der 2014 „undrafted“ blieb, spielte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Puerto Rico und Israel. Aktuell steht er bei den Yokohama B-Corsairs in Japan unter Vertrag. Ein geregeltes Leben mit Konstanten hat er seit Jahren nicht. Auch McCrea kennt Panikattacken und Depressionen nur zu gut. Als ihn die Kollegen von basketball.de im Dezember 2018 zu Kevin Love befragen, sagt er: „Einige Sachen, über die er gesprochen hat, habe ich auch so empfunden: was die Angst betrifft, in ein Spiel zu gehen. Manchmal ist es ein so großer Druck, rauszugehen und zu performen.“

Die Angst im entscheidenden Moment zu versagen ist groß. Doch als weiteren Punkt führt der Ex-BBL-Spieler die quälende Angst vor Verletzungen an. Ist ein Athlet ernsthaft verletzt, beginnen sich die Sorgen zu potenzieren. Denn anders als die NBA-Kollegen sind die meisten talentierten Basketball-Legionäre – die häufig aus den USA stammen und einst größere Karriereziele hatten – finanziell nicht so privilegiert. Als sich McCrea einen Teilanriss im Meniskus zuzieht, beginnen bei ihm die Existenzängste die sportlichen Versagensängste abzulösen. Schlaflose Nächte folgen. „Als ich mich das zweite Mal in Deutschland verletzt habe, haben die Dinge wirklich eine Wende genommen und es hat begonnen, abwärts zu gehen“, erinnert sich der Amerikaner.

Wie viele Profisportler arbeitet auch er mit einem Therapeuten zusammen. „Er hilft mir wirklich sehr: Ich kann einfach zu ihm gehen, mit ihm reden und alles rauslassen.“ Doch es braucht Mut öffentlich über seine Probleme zu sprechen. Nicht umsonst betonte DeRozan in seinem Tweet extra, dass er sich für seine Situation nicht schäme. Die gesellschaftliche Erwartungshaltung ist trotz all der Solidaritätsbekundungen nach einem solchen „Outing“ unverändert. Das bestätigt auch der Cleveland-Forward, wenn er schreibt: „Du wächst auf und merkst ziemlich schnell, wie du dich als Junge zu verhalten hast, um ein Mann zu sein. Sei stark. Rede nicht über deine Gefühle. Löse deine Probleme selbst.“ In der NBA rede keiner über seine mentale Verfassung, „und ich wollte nicht der Einzige sein. Ich wollte nicht schwach erscheinen.“ Vielleicht sollte jeder Journalist (der Autor schließt sich explizit ein) besser reflektieren, dass jeder NBA-Star vor allem eines ist – ein Mensch.

Autor: Markus Unckrich

Erschienen in BASKET 12/2019