Jahrelang agierte Anthony Davis in New Orleans jenseits des großen Rampenlichts und segelte mit den Pelicans meist im sportlichen Niemandsland. Seiner Reputation tat das nie einen Abbruch, er gehört seit jeher zu den besten Spielern dieses Planeten. Dieser Ruf steht mit seinem Wechsel zu den Los Angeles Lakers allerdings auf dem Prüfstand. Denn auf der großen Bühne Hollywoods zählt vor allem das, was Davis bisher nur vom Hören-sagen kennt – die NBA-Meisterschaft!

Wer in der NBA zu den ganz großen Namen zählen möchte, der muss so einige Dinge vorweisen können. Da wären zunächst einmal die Statistiken. Nacht für Nacht und dann Saison für Saison muss ein wahrer Superstar überragende Zahlen abliefern, Zahlen, die ihn von den vielen anderen Spielern abheben. Meist machen ihn diese Zahlen zum mehrfachen All Star und er darf sich jährlich im Februar mit den besten Talenten der Liga vergleichen. Doch individuelle Klasse hat nur dann in der besten Basketballliga der Welt einen Stellenwert, wenn sie dem eigenen Team auch zu Siegen verhilft. Und für einen Superstar müssen das schon viele Siege sein, die anschließend nahtlos in Playoff-Teilnahmen übergehen. Der letzte, ja der wohl entscheidendste Schritt eines Spielers auf dem Weg zum „All-Time-Great“, ist dann der hin zu einem Meisterschaftsanwärter. Einem Spieler, der in der Postseason seine größten Momente erlebt und die Hände zumindest das ein oder andere mal nach der Larry O’Brien Trophy ausstreckt. Dann und wirklich erst dann kann ein Spieler am Ende seiner Laufbahn zurückblicken und sagen, dass er wirklich einer der ganz Großen war. Und auch erst dann wird es die Öffentlichkeit über ihn sagen können.

Mister Davis, the stage is yours

Mit seinem viel diskutierten Wechsel zu den Los Angeles Lakers im Sommer soll für Anthony Davis eine neue Zeitrechnung beginnen. Hier soll vieles – nicht alles – aber vieles anders werden – an der Seite des großen LeBron James, im Trikot einer der schillerndsten Mannschaften, die der Sport je gesehen hat, und auf den Brettern der Stadt der Engel, die für so viele die Welt bedeuten. Das Nomadendasein im Liga-Niemandsland von New Orleans soll im Rückspiegel verblassen und mit ihm die raren Erinnerungen an nur zwei unbedeutende Playoff-Teilnahmen in sieben Jahren NBA-Karriere. Unter der kalifornischen Sonne will Davis den nächsten Schritt in seiner Laufbahn machen, eben jenen Schritt zum absoluten Superstar. Er will dahin, wo er eigentlich schon ist – zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung.

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Erfolgshungrig: In seiner NBA-Laufbahn kam Anthony Davis noch nie über die zweite Playoff-Runde hinaus (Foto: Getty Images).

Denn im Grunde genommen erfüllt Anthony Davis im immer noch zarten Alter von 26 Jahren schon eine ganze Menge der besagten Anforderungen an die ganz Großen. Seine Karriere-Statistiken – 23,8 Punkte, 10,8 Rebounds, 2,1 Assists und 2,4 Blocks pro Partie bei einer effektiven Feldwurfquote von 52,8 Prozent – sind beeindruckend und liegen sogar noch weit unter dem, was er in seinen stärksten Jahren bei den Pelicans abgeliefert hat. In den Saisons 2016/2017 und 2017/2018 legte er nämlich über 28 Punkte und mehr als elf Rebounds im Schnitt auf. Auch im letzten Jahr rangierten seine Zahlen trotz Verletzungsproblemen und den aufkommenden Wechselgerüchten nicht weit hinter dem von ihm extrem hoch gelegten Standard.  Er wurde bereits sechsmal ins All-Star-Team berufen und sicherte sich 2017 den Titel des All-Star-Game-MVP. Er stand dreimal im All-NBA-First-Team, holte 2012 olympisches Gold mit Team USA und befindet sich seit Jahren auf der kurzen Liste von Kandidaten für den Award des wertvollsten Spielers der gesamten Liga. Seine patentierte „Unibrow“ schenkte ihm dazu einen mehr als prägnanten Spitznamen. Viel mehr Superstar geht eigentlich nicht.

Geht eben doch und zwar mit Playoff-Erfolgen sowie dem Mitspielen um die Meisterschaft. Keiner weiß das besser als Anthony Davis selbst. „Ich würde zwar nicht sagen, dass ich bis jetzt versagt habe, was das angeht, aber auch nur, weil ich noch Zeit habe“, meint der 26-Jährige Number-One-Pick von 2012. „Wenn ich am Ende meiner Karriere angekommen bin und immer noch ohne Titel dastehe, dann wäre das eine andere Geschichte und ich müsste es anders bewerten. Doch im Moment liegt mein bester Basketball noch vor mir und ich habe alle meine Ziele fest im Blick.“ Im Wissen um diese Tatsache ließ er seinen Agenten Rich Paul einen Trade aus New Orleans einfädeln, passenderweise zum Team von dessen berühmtesten Klienten – LeBron James. Davis war nach Jahren der Mittelmäßigkeit in New Orleans dem Verlieren müde geworden, suchte nach besseren Rahmenbedingungen und erinnerte sich zudem an die Worte einiger prominenter Ex-NBA-Stars. „Kevin Garnett zum Beispiel hat am Ende seiner Karriere gesagt, dass er es bereut hat, nicht früher mit einem Wechselwunsch an die Minnesota Timberwolves herangetreten zu sein“, vergleicht Davis seine Situation mit der des „Big Tickets“, der erst nach zwölf mittelmäßigen Jahren sein ursprüngliches Team verließ, um mit den Boston Celtics auf Titeljagd zu gehen. „Das ist bei mir hängen geblieben und hat mich zum Nachdenken gebracht.“

Neues Aushängeschild der Los Angeles Lakers

Aus diesem Nachdenken entstand ein Zukunftsplan, welcher sich mit dem der Lakers decken sollte. Das Team aus L.A. bemühte sich händeringend um Unterstützung für ihren Megastar LeBron James, der mit mittlerweile 34 Jahren im Spätherbst seiner Karriere angekommen ist. Sie opferten mit einer Reihe von jungen Spielern und Draft-Picks ihre Zukunft, um in der Gegenwart mit einem der stärksten Duos der Liga nach dem Titel zu greifen. Darüber hinaus soll Davis im kommenden Sommer einen langfristigen Vertrag erhalten und das neue Aushängeschild der Traditionsfranchise werden. Doch eigentlich ist er das jetzt schon, wenn man den Stimmen aus Hollywood in diesen Tagen lauscht. „Anthony Davis ist der vielleicht dominanteste, junge Allrounder der Liga“, sagt Lakers General Manager Rob Pelinka. „Er repräsentiert mit seinen hohen Ansprüchen auf und neben dem Court alles, wofür unser Team steht. Ihn zu verpflichten, war ein historischer Tag für die Franchise und wir sind unendlich stolz, ihn in unseren Reihen zu haben.“

Davis

Weil LeBron James die Nummer 23 blockiert, muss Davis in L.A. mit der Nummer 3 auflaufen (Foto: Getty Images).

Man bedenke, dass die Lakers eine Franchise sind, deren Trikot schon eine ganze Reihe von absoluten Jahrhundertspielern getragen hat. Wilt, „the Logo“, Magic, Kareem, Kobe, Shaq und nicht zuletzt LeBron – dies sind nur einige der Namen, die den Glanz und das Selbstverständnis des 16-fachen Meisters ausmachen. Einer Franchise, für die in diesem Jahr alles andere als die Meisterschaft eine herbe Enttäuschung wäre. Worte wie die von Pelinka deuten an, wie viel Hoffnung die Lakers in Anthony Davis setzen und untermalen, dass sie ihn als ihren neuen Franchise-Player sehen. Auch auf Anraten ihres bisherigen Anführers – LeBron höchstpersönlich.

Dieser empfing Davis mit offenen Armen und signalisierte ihm sofort, dass er jetzt die zentrale Figur in L.A. sein wird. Eine Zuwendung, die einem Ritterschlag gleichkommt. „So etwas aus seinem Munde zu hören ist für mich eine wahre Ehre“, gesteht Davis fast ein wenig berührt. „Dass er, die Coaches und das Management mich als Schlüsselspieler sehen, bedeutet mir sehr viel. Natürlich bringt das auch Druck und viel Verantwortung mit sich, doch ich denke, dass ich dafür bereit bin. Doch das Umfeld wird es mir einfach machen, meine Stärken für das Team auszuspielen.“ Ausreden gibt es wahrlich keine mehr an seiner neuen Wirkungsstätte.

Denn die Lakers tun alles dafür, dass sich ihr neuer Star wohlfühlt. Selbst wenn Davis mit seinem vielseitigen Spiel, seinen schnellen Beinen und seinem starken Wurf von Außen prädestiniert für den Einsatz als moderner Small-Ball-Center wäre, sehen ihn die Lakers eher und fast ausschließlich als Power Forward. Auch weil Davis es nicht besonders mag, auf der Fünf zu agieren. Zusätzlich hat „AD“ auch ganz genaue Vorstellungen davon, wer neben ihm auflaufen soll. „Als Anthony und ich über den Kader gesprochen haben, da hat er mir deutlich gesagt, dass er gerne neben einem großen, massigen Center agiert“, sagt Rob Pelinka über die ersten Strategie-Gespräche mit seinem neuen Superstar. Kurz darauf verpflichtete er DeMarcus Cousins, Davis‘ alten Gefährten aus New Orleans, und gaben Javale McGee einen neuen Zweijahresvertrag. Auf Cousins’ Kreuzbandriss im Training reagierte das Team sofort und holte sogar Dwight Howard zurück, dessen erstes Engagement bei den Lakers in der Saison 2012/2013 alles andere als gut verlief und im Streit endete. Das ist allerdings Vergangenheit, jetzt zählt nur, dass es Anthony Davis gut geht. Auch körperlich.

„Er ist 26 Jahre jung und wir wollen, dass er ein Jahrzehnt für uns Top-Leistungen bringen kann“, fordert Pelinka. „Daher haben wir ein Auge darauf, wie es ihm gesundheitlich geht. Es ist mit Sicherheit nicht das beste für seinen Körper oder für uns als Team, wenn er sich Nacht für Nacht mit den großen Centern der Western Conference duellieren muss.“

Die Bedenken der Lakers kommen nicht von ungefähr. Davis verpasste in seinen bisherigen sieben Spielzeiten 108 Spiele, also ungefähr 15 pro Saison. Dabei wurde von den Zehen bis hin zum Kopf so ziemlich jeder Teil seines Körpers von mehr oder minder schweren Verletzungen heimgesucht. 2,11 Meter Körperlänge und eine gottgegebene Athletik fordern nun mal ihren Tribut. Und sie bedürfen genauer Beobachtung. Wesentlich weniger Bedenken gibt es dafür im sportlichen Bereich. LeBron James und Anthony Davis dürften zusammen eines der wohl gefährlichsten Pick-And-Roll-Duos bilden, welches die Liga seit langem gesehen hat. Sie können sich gegenseitig entlasten und damit auf lange Sicht fit bleiben. Der Saisonstart verlief mit sechs Siegen aus sieben Spielen gut, Davis und James scorten beide über 26 Punkte pro Begegnung und LeBron verteilte mit 11,1 Assists so viele Zuspiele wie nie zuvor in seiner Karriere. „Ich glaube, er hat noch nie mit einem Spieler wie mir gespielt und umgekehrt ist es genauso“, freut sich Davis über seinen neuen Co-Star. „Wir können uns gut ergänzen und werden uns gegenseitig beflügeln.“ Dies gilt vor allem für die Defensive, wo Davis den Schlüssel zum Erfolg der Lakers sieht. Zusammen mit James will er mit hohem Verteidigungseinsatz vorangehen und damit auch die Mitspieler inspirieren.

Auf Augenhöhe mit Teamkollege LeBron James

Zum Zusammenspiel der beiden Alpha-Tiere gehört aber auch mal konstruktive Kritik, sagt LeBron. „Wir beide können ganz offen miteinander reden und uns auch einmal kritisieren“, sagt der vierfache MVP und dreifache NBA-Champion. „Das wird helfen, uns weiterzuentwickeln und letztlich profitiert auch die Mannschaft davon.“ Dass James seinen neuen Teamkollegen dermaßen auf Augenhöhe sieht, ist ein weiteres Indiz dafür, wie hoch Davis’ Ansehen in der Liga bereits ist – auch ohne großen Playoff-Erfolg bis dato.

Dies liegt nicht zuletzt daran, dass Anthony ganz klar das Mantra verfolgt, ein Siegertyp zu sein. In seinem einzigen College-Jahr an der legendären University of Kentucky führte er die Wildcats zur NCAA-Championship und heimste nebenbei den Titel des besten Spielers der Saison ein. Zwar gewann er mit den Pelicans in seinen beiden bisherigen Playoffteilnahmen nur eine Serie, ihm kann das frühe Ausscheiden jedoch in beiden Fällen nicht angekreidet werden. In 13 Postseasonspielen verbuchte Davis im Schnitt 30,5 Punkte, 12,7 Rebounds und 2,5 Blocks pro Partie. Er hat also schon bewiesen, dass er nicht nur in wichtigen Spielen seine Leistung bringt, sondern sie sogar nochmal auf ein neues Level schrauben kann.

Doch selbst ein furios aufspielender Anthony Davis konnte es in New Orleans nicht schaffen, die durchschnittlichen Kader auf eben jenes nächste Level zu hieven. Umso mehr genießt er nun, Teil eines echten Contenders zu sein. Eines Teams, dass ihn auch mal mittragen kann. „Es ist schon ein komisches Gefühl, zur Halbzeit nur fünf oder sechs Punkte zu haben und wir führen trotzdem mit 30 Punkten“, lacht Davis. „Doch es ist gut, wenn ich nicht immer alles alleine machen muss.“ Schließlich wird die Zeit, wo er viel tun muss, irgendwann kommen – spätestens in den Playoffs.

Anthony Davis will es aber genauso haben. „Ich weiß, dass ich viel Verantwortung übernehmen muss, wenn ich zu den größten Spielern aller Zeiten zählen will“, blickt Davis voraus. „Damit habe ich nie ein Problem gehabt und es treibt mich eher an. Ich will mit den Lakers den Titel gewinnen – keine Frage.“

Autor: Moritz Wollert