Ja Morant, der Anführer und Coach auf dem Court

Ein weiterer Aspekt seines verbesserten Spiels lässt sich unter dem Begriff Reife zusammenfassen. Zum einen entpuppt sich der 22-Jährige in seinem erst dritten NBA-Jahr bereits als verlängerter Arm seines Trainers Taylor Jenkins. Zum anderen profitiert er gerade als Playmaker von seinem extrem hohen Basketball-IQ. „Auf dem Platz ist er unser Coach“, berichtet Teamkollege Jaren Jackson Jr., „unser Trainer kommuniziert mit ihm und Ja gibt es an uns weiter. Er spricht unheimlich viel. Selbst wenn er auf der Bank sitzt, teilt er immer wieder seine Gedanken mit, wenn ihm etwas auffällt. Wir Spieler wissen, dass wir zu jeder Zeit zu ihm gehen können und einen Rat bekommen werden.“

Ja Morant (l.) von den Memphis Grizzlies spricht mit Head Coach Taylor Jenkins während des Spiels des Play-in-Turniers gegen die San Antonio Spurs im FedExForum am 19. Mai 2021 in Memphis, Tennessee. (Foto: Justin Ford/Getty Images)
Ja Morant (l.) von den Memphis Grizzlies spricht mit Head Coach Taylor Jenkins während des Spiels des Play-in-Turniers gegen die San Antonio Spurs im FedExForum am 19. Mai 2021 in Memphis, Tennessee. (Foto: Justin Ford/Getty Images)

Reifeprozess macht Ja Morant zum besseren Spieler

Taylor Jenkins und seine Mitspieler vertrauen ihrem Franchise Player – weil er ihnen bewiesen hat, dass er das Spiel zu jeder Zeit lenken kann. Dank unzähliger Stunden Videoanalyse, weiß Ja Morant genau, was jeder einzelne Mitspieler zu welchem Zeitpunkt tut oder nicht tut. Auch die offensiven und defensiven Stärken und Schwächen des jeweiligen Gegners studiert er akribischer als je zuvor. Das hat zur Folge, dass sich das Spielverständnis des „Rookie of the Year 2020“ im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal verbessert hat. Zwar kann er jederzeit den Highspeed-Button aktivieren, muss es aber nicht zwangsläufig. Denn mittlerweile hat er genug Geduld und Ruhe, um Setplays entwickeln zu lassen und auf eine Schwachstelle der gegnerischen Verteidigung zu warten.

„Ich bin auf die Verteidigungen der Gegner vorbereitet. Alles was ich tue, ist, den Gegner zu lesen. Dadurch kann ich ihnen auf dem Court einen Schritt voraus sein. Als Point Guard musst du in der Lage sein, deinem Coach und deinen Teammates mitzuteilen, was du auf dem Feld siehst“, so Morant. Kein Wunder also, dass der „Young King“, wie ihn Kyrie Irving vor rund einem Jahr taufte, nicht nur bei den Punkten pro Spiel in der Top-10 der Liga zu finden ist, sondern auch bei den Assists sowie beim Player Efficiency Rating.

Endlich gefährlich von draußen

Der PER-Wert deutet darauf hin, dass Morant seine gesamte Performance im Vergleich zur Vorsaison deutlich gesteigert hat. Das gilt auch für sein Shooting von jenseits der Dreierlinie. Mit über fünf Versuchen hat der vielleicht jetzt schon spektakulärste Spieler der Franchise-Geschichte nicht nur sein Volume deutlich hochgeschraubt, er trifft den „Triple“ auch ca. sechs Prozent sicherer als 2020/21.

Eine Steigerung war bei 30,3 Prozent zwar auch dringend notwendig, wenn Morant auf Dauer von „Downtown“ verlässlich liefern will, dass es ihm zu Beginn der neuen Spielzeit aber so schnell gelingt, diesen Wert anzuheben, dürfte die Konkurrenz mit schlotternden Knien zurücklassen. Gelingt es Morant, zukünftig sogar an die 40 Prozent heranzukommen, bleibt er an guten Tagen praktisch „unguardable“.

Im Grunde ist er das fast jetzt schon. Sein Spiel wirkt gleichermaßen spektakulär wie effizient, Morant zeigt selbst vor den besten NBA-Defensivteams keinerlei Respekt, wie er in der Playoff-Serie gegen die Jazz unter Beweis stellte. Das verleitet so manchen NBA-Journalisten sogar dazu, ihn dank einiger Gemeinsamkeiten in Sachen Größe, Furchtlosigkeit, Spielstil und Style bereits in einem Namen mit Allen Iverson zu nennen. Das mag etwas übertrieben sein, spielt aber im Grunde auch keine Rolle.

Play-offs? All-Star? Im Moment scheint alles möglich

Fakt ist, Ja Morant spielt bislang eine mehr als respektable Saison und trägt maßgeblich dazu bei, dass die Memphis Grizzlies in diesem Jahr nicht nur richtig Spaß machen, sondern möglicherweise sogar um einen direkten Playoff-Platz mitspielen werden. Geht es so weiter, dürfte die erste Einladung zum All-Star-Game nicht mehr lange auf sich warten lassen. In Memphis jedenfalls sind sie mittlerweile heilfroh, dass das Losglück für den 2019er Draft den New Orleans Pelicans hold wahr. Denn aktuell stellt man sich eher bei Nr. 2-Pick Ja Morant als beim einst als „Jahrhunderttalent“ gefeierten Zion Williamson die Frage, wie gut dieser Spieler eigentlich noch werden kann.

„Meine Ziele für diese Saison sind, erstens besser als die letzten beiden Jahre zu spielen, zweitens All Star zu werden und drittens es in ein All-NBA-Team zu schaffen“, sagte Morant vor Saisonbeginn. Scheint so, als könnte der einzige Spieler in der NBA, dessen Haarpracht seine krachenden Dunks fast in den Schatten stellt, im Sommer 2022 hinter alle Vorhaben einen Haken machen. Fest steht hingegen schon jetzt im Winter – Ja Morant ist „The Real Deal“!

Dieser Text erschien zuerst in Basket 01/22