Wer die Oklahoma City Thunder in der Regular Season verfolgt hat, wusste meist nicht so recht, was er von ihnen halten soll. Championship-Kandidat oder doch nur Conference-Finals-Kaliber? Bereit, Steph Curry und seine Golden State Warriors vom Thron zu stoßen oder doch noch nicht so weit? Solche Fragen waren es, die sich der NBA-Fan stellte, wenn er an OKC dachte. Und auch in Expertenkreisen kursierten durchaus unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Thunder nun ein Titelkandidat sind oder nicht. Meckern auf äußerst hohem Niveau also. Schaut man sich das Ganze aber genauer an, sollte mittlerweile klar sein, in welche Richtung es für das Team von Trainer Billy Donovan gehen könnte. Tatsächlich haben sie nämlich das Potenzial, den Warriors im Kampf um die Krone einen Strich durch die Rechnung zu machen. Der Konjunktiv verrät es bereits: Noch ist nichts in Stein gemeißelt …
Duo in Top-Form
Spricht man über die Franchise aus „Central South“, folgt unweigerlich als erstes der Name Kevin Durant. Wegen der alles überstrahlenden Präsenz eines gewissen Stephen Curry scheinen allerdings einige vergessen zu haben, dass auch einer der besten Spieler der Welt wieder in der Liga agiert und durchaus Eindruck hinterlässt. Denn nach seiner verletzungsverseuchten Spielzeit 2014/15 und der erfolgreichen Fuß-OP spielt der 27-Jährige, als wäre er nie weg gewesen. Zwar legt er keine Career-Highs auf, aber seine Statline (27,7 PPS, 7,9 REB 4,5 AS, 50,8% aus dem Feld) ist für die meisten NBA-Akteure nichts als ein kühner Traum. In Sachen Scoring steht „KD“ wie gewohnt an der NBA-Spitze, belegt den dritten Rang. In der Rebound-Kategorie holt er gemeinsam mit Carmelo Anthony die meisten Boards unter den Small Forwards und auch im „Player Efficiency Rating“ rangiert er mit einem beeindruckendem Wert von 28,42 an dritter Stelle. Man sieht: Durant ist gefährlich wie eh und je. Doch es versteht sich von selbst, dass er auch genau das sein muss. Denn der Teamerfolg bei OKC ist von ihm abhängig.
Mentale Stärke
Doch glücklicherweise nicht einzig und allein von ihm. Oklahoma City hat ja bekanntermaßen noch einen anderen Basketballer von Weltformat in seinen Reihen und dieser trägt den Namen Russell Westbrook. Nachdem er in Durants letztjähriger Abstinenz zum Triple-Double-Monster mutierte (legte satte elf Stück in der Saison auf) und den wohl besten Basketball seines Lebens spielte, überzeugt er aktuell nicht minder – ganz im Gegenteil. Anders als sein kongenialer Kompagnon verziert er sein Stat-Sheet 2015/16 allerdings gleich mehrfach mit Karriere-Höchstwerten in den Kategorien Assists, Boards und Steals. Die 18 Triple-Doubles, die er in der Regular Season auf seinem Konto verzeichnen konnte, sowie der vierte Platz im „Player Efficiency Rating“ (27,64) komplettieren das Bild eines Russell Westbrook, der noch erfolgshungriger zu sein scheint als im letzten Jahr. Geht das überhaupt? Die Art und Weise, wie „RW0“ mit seinen Dunks in regelmäßigen Abständen die Körbe der NBA malträtiert, scheint das jedenfalls zu bestätigen und wirft immer wieder die Frage auf: „Was hat dir der Ring getan, Russell?“ Entscheidend hinzu kommt Westbrooks einzigartiger „killer will“, der ihn zu einem nicht zu stoppenden Biest macht. „Seine mentale Härte kommt der von Kobe Bryant gleich“, ist sich J.M. Poulard vom „Bleacher Report“ sicher.
Beeindruckend ist jedoch vor allem das Zusammenwirken beider Akteure. Das zeigen die folgenden Statistiken: Standen „KD“ und „Russ“ gemeinsam auf dem Parkett, scorte das Team mit einer Trefferquote von 48,9 %. Saßen sie auf der Bank, brachten es die restlichen Akteure auf gerade einmal 41 %. Ein deutlicher Unterschied, der eines glasklar macht: In den wichtigen Playoff-Spielen muss immer mindestens einer von ihnen auf dem Court stehen. Sonst hat OKC – zumindest offensiv – keine große Chance, über die Golden State zu triumphieren. Auch im Duell mit den San Antonio Spurs war es nicht möglich, beiden Stars gleichzeitig Pausen zu gönnen. Trainer Donovan hat es so viel einfacher, wenn die beiden 27-Jährigen gemeinsam spielen: „Ein hohes Pick-and-Roll des Star-Duos ist ein tödlicher Spielzug für jeden Gegner, weil Verteidiger Todesangst bekommen, wenn sie Durant am Perimeter stehen lassen, während Westbrook freie Bahn hat und entweder Mitspieler an der Dreierlinie oder mit Bodenpässen finden kann“, beschreibt Mika Honkasalo von „hoopshype.com“ nur eine von vielen Möglichkeiten. Man sieht, dass sie mit ihrer Präsenz nicht nur für mehr Punkte sorgen, sondern gleichzeitig ihre Mitspieler besser machen. Für viele ist das nichts Neues. Aber es zeigt eben auch, wie sehr die Donner-Franchise von Kevin Durant und Russell Westbrook in der Offensive abhängig ist.
Defense mit Potential
Das soll nicht heißen, dass der Rest kein Basketball spielen kann – das Gegenteil ist der Fall. Steven Adams ist seit dieser Spielzeit ein echter Teil der Offense geworden und überzeugt u.a. mit sehenswerten Alley-Oops, die ihm regelmäßig von Westbrook serviert werden. Auch die „Stretch-Four“-Qualitäten von Serge Ibaka helfen dem Angriffsspiel Oklahomas weiterhin, wenngleich der Power Forward durch seine Ausflüge an die Dreierlinie viel weniger in der Zone agiert und seine Inside-Präsenz somit ein wenig verloren gegangen ist. Enes Kanter ist offensiv wie gewohnt eine Bank und sammelt fleißig Double-Doubles. Und auch der viel gescholtene Dion Waiters zeigte in den Playoffs bereits starke Vorstellungen.
Dass der Angriff von OKC wieder einmal zu den besten der Liga zählt (110,1 PPS, Rang zwei; 47,6%, Rang drei) sollte demnach nicht überraschen. Der Defensive hingegen wird oft die Klasse abgesprochen. Und diese Vermutung bestätigte sich in der Regular Season beim Blick auf die Zahlen: Bei der zugelassenen gegnerischen Feldwurfquote von 43,8% (Platz sechs in der Liga) hält es sich noch im Rahmen, aber sowohl 101,9 gegnerische Punkte pro Spiel (Platz 16), als auch 34,5% zugelassene „Downtown“-Quote (Platz 11) genügen nicht dem Anspruch eines Contenders. Dabei hat das Team beileibe das Potenzial, eine starke Defense-Truppe zu sein. Mit Westbrook und Roberson wissen die Thunder zwei äußerst versierte Guard-Verteidiger in ihren Reihen, die das Pick-and-Roll lesen, aber auch im Eins-gegen-Eins überzeugen können. Dass Durant verteidigen kann, weiß jeder und auch Ibaka ist ein geborener „Rim Protector“, war zwei Mal bester Blocker der NBA. Steven Adams hat defensiv ebenfalls einiges drauf. Das Problem ist nur: OKC spielte in der „D“ schlicht und ergreifend nicht als Team zusammen. Die einzelnen Puzzleteile waren vorhanden, doch auf höchstem Level griffen sie noch nicht ineinander. Doch das scheint nun anders zu sein. In den sechs Partien gegen die Spurs schaffte San Antonio nur in Spiel 1 (124:98) mehr als 100 Punkte, danach überzeugte die Defense der Thunder. Die Warriors brachten es im ersten Spiel der Conference Finals auf 102, feuerten aber zwischendurch auch regelmäßig aus schlechten Positionen ab.
Es könnte also durchaus sein, dass die Thunder das in die Tat umsetzen, was seit Jahren von ihnen erwartet wird: eine gute Defense spielen, um tatsächlich Chancen auf den Titel zu haben. Die Chance für OKC war vielleicht selten so groß wie in dieser Saison.
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