Die neue Rolle als Sixth Man der Thunder ist Dennis Schröder wie auf den Leib geschnitten, das merkt man auf dem Court. Doch hinter den Kulissen sieht sich der 25-Jährige mit einem Problem konfrontiert, das nicht nur sein basketballerisches Leben auf den Kopf stellen könnte.
Keine Frage, die Saison 2017/18 wird bei den Oklahoma City Thunder niemandem sonderlich positiv in Erinnerung bleiben. Zu groß waren die Erwartungen an die vermeintliche „Big Three“, bestehend aus Russell Westbrook, Paul George und Carmelo Anthony. Und noch viel größer die anschließende Enttäuschung! Statt den hart umkämpften Westen gehörig aufzumischen, kassierte die Franchise, die einst aus den legendären Seattle SuperSonics hervorging, ein desaströses 2:4 in der ersten Playoff-Runde gegen die Utah Jazz. Nicht „Russ“ oder „PG13“ zelebrierten epischen Playoff-Basketball, sondern ein Youngster namens Donovan Mitchell sorgte dafür, dass sich regelmäßig die Stimmen der Kommentatoren überschlugen. Neben dem offensichtlichen Problem – zwischen den drei hochdekorierten All Stars stimmte die Chemie einfach nicht – gab es ein weiteres, ganz zentrales Problem: Bereits in der Regular Season wurde augenscheinlich, dass bei OKC regelmäßig die Unterstützung von der Bank fehlte. Die schwache Second Unit der Thunder war es auch, die es unmöglich machte, gegen die tiefe Rotation Quin Snyders mitzuhalten.
Auf dem Weg zum „Sixth Man of the Year“
Um dieses eklatante Problem in der neuen Spielzeit schnell wieder zu den Akten legen zu können, wurde Dennis Schröder verpflichtet. Zweifellos ein großer Coup! Denn der Braunschweiger war zuletzt unumstrittener Franchise-Player der Atlanta Hawks. Einen Spieler dieser Güteklasse noch auf der Bank zu haben, ist ein wahrer Trumpf für Billy Donovan. Und wie sieht die neue Situation aus Schröders Sicht aus? Ist der Wechsel auf die Thunder-Bench als Abstieg zu interpretieren? Nein! Ein Wechsel von einem Team, das tief im „Tanking-Modus“ steckt, zu einer Spitzenmannschaft der Western Conference, die sowohl einen MVP (Westbrook) als auch einen MIP (George) in seinen Reihen hat, kann durchaus als Beförderung aufgefasst werden. „Ich könnte nicht glücklicher sein“, brachte der neue Leistungsträger sein Gefühlsleben in kurzen Worten auf den Punkt. Das mediale Interesse an der Person Schröder – das lässt sich bereits nach den ersten beiden Monaten eindeutig feststellen – hat zugenommen. Allerdings geht damit einher, dass nun die Leistungen des deutschen Nationalspielers, anders als noch in Atlanta, sehr viel genauer unter die Lupe genommen werden.
Und der blitzschnelle Point Guard macht seine Sache gut. Nach vier überraschenden Niederlagen zum Saisonstart, bei denen dem Niedersachsen 13,3 PPS gelangen, folgte – nicht zuletzt dank einer eindrucksvollen Leistungssteigerung Schröders (17,2 PPS) – eine Siegesserie. Dass der 17. Pick von 2013 nun von der Bank kommt, spiegelt sich in seinen Stats kaum wider. Die 31,0 Minuten, die Schröder vergangene Spielzeit noch für die Hawks auf dem Court stand, sind trotz seiner neuen Rolle gerade einmal auf 28,1 Minuten geschrumpft. Der Mann, der vielleicht den schnellsten ersten Schritt der gesamten NBA besitzt, nimmt weiterhin 13,9 Würfe pro Spiel. Beide Werte sind nicht unbedingt die eines Bankspielers. Auch wenn Schröder als Anführer der „zweiten Fünf“ agiert, ist sein Einfluss auf das Spiel Oklahomas immens. Mit großem Selbstverständnis verschafft sich der langjährige Schüler von Mike Budenholzer Spielanteile. Dirigiert, organisiert, scort! Schröder ist gereift und muss in der NBA nicht mehr beweisen, dass er über die Tauglichkeit verfügt, in ihr zu bestehen. Für gewisse Spielphasen ist er gar in der Lage zu dominieren. Nicht umsonst gilt der Sohn einer gambischen Mutter und eines deutschen Vaters bereits früh in der Saison als ein erst zu nehmender Kandidat auf den „Sixth Man of the Year“-Award.
Schwere Anschuldigungen
Alles in Butter also? Nein, nicht ganz, denn ein gewaltiger Fehltritt, der nun bereits über ein Jahr zurückliegt, holt den OKC-Spieler wieder ein. Der aktuell beste deutschen Basketballer wird von der Staatsanwaltschaft DeKalb County, einem Verwaltungsbezirk im Osten Atlantas, der gefährlichen Körperverletzung bezichtigt. Selbst große deutsche Blätter, wie „Der Spiegel“, berichteten zuletzt in aller Ausführlichkeit darüber. Was war passiert? Am 29. September 2017 soll Schröder, unterstützt durch drei weitere Männer, vor der Bar „6AM“ in Atlanta einen Mann geschlagen und getreten haben. Der Vorfall soll von Überwachungskameras aufgenommen worden sein. Der damalige Guard der Hawks wurde noch am Tatort verhaftet und rund vier Stunden später wieder freigelassen. Das Opfer? Ein 31-jähriger Mann. Laut Polizeibericht habe er einen Kreuzband- und einen Meniskusriss davongetragen, wodurch „mehrfache Operationen“ und „umfangreiche Rehamaßnahmen“ nötig wurden. Also alles andere als eine Bagatelle oder eine harmlose Rangelei, wie es unmittelbar nach den Vorkommnissen 2017 in den US-Medien kommuniziert wurde.
Dass der Neuzugang angesichts dieser Anschuldigungen so konstant und souverän seine basketballerischen Qualitäten abrufen kann, zeigt wie gut der Westbrook-Backup inzwischen ist. Doch es beweist auch, dass Schröder nicht der Vorzeigesportler ist, für den ihn, nicht nur in Deutschland, viele Fans halten. Ein Image, das der Norddeutsche authentisch über viele Jahre verkörperte. Wo immer er hinkommt, erfüllt er jeden, wirklich jeden Selfie- und Autogramm-Wunsch. Zeigt sich nahbar und vergisst niemals, wo er herkommt. Zuletzt unterstützte er mit einem großzügigen Sponsoring die Fußballer von Eintracht Braunschweig und seinen Ex-Club die Löwen Braunschweig. „Eine Herzensangelegenheit“, stellte der 25-Jährige damals klar.
Doch die Schilderung eines Zeugen zur Tat klingen nicht gerade so, als gäbe es viel Interpretationsspielraum: „Schröder hat das alles zu verantworten.“ Der Zeuge betont, dass der deutsche NBA-Profi und seine Begleiter bereits bei ihrer Ankunft jeder Menge Aggressionspotenzial ausstrahlten: „Sie machten den Eindruck, als wenn sie nur da wären, um Stress zu provozieren. Schröder quoll das Testosteron quasi aus den Ohren heraus.“ Bereits bevor „DS17“ den Nachtclub betrat, soll er ein hitziges Wortgefecht mit dem späteren Opfer initiiert haben. Was sich später am Abend zwischen den Streithähnen ereignete, verfolgt den schnellen Ballhandler nun juristisch. Und das, obwohl der Sportler laut „Spiegel“-Informationen das Schweigen des Opfers gekauft haben soll.
Falscher Umgang?
Doch was hat den Mann, der die DBB-Auswahl bei der WM 2019 in China anführen soll, dazu veranlasst, die Fäuste fliegen zu lassen? War er unzufrieden mit seiner Situation bei den Hawks? Frustriert mit der Situation, tagein, tagaus mehr oder weniger absichtlich verlieren zu müssen? Spielte Schröder in der vergangenen Saison zu gut, setzte ihn sein Coach im vierten Viertel ganz bewusst auf die Bank! „Tanking“ nun mal. Sicher eine schwere Phase für einen echten Ehrgeizling wie Dennis, der den Wettkampf liebt und Verlieren hasst wie die Pest. Aber all das kann keinesfalls eine Erklärung, geschweige denn eine Rechtfertigung für solch einen brutalen Gewaltakt sein. Einen 70-Millionen-Dollar-Vertrag in der Tasche zu haben, sollte doch für eine gewisse Gelassenheit sorgen. Doch dem ehemaligen BBL-Spielers scheinen Ruhm und Reichtum offenbar zu Kopf gestiegen sein.
Umso bemerkenswerter ist, dass Schröder gerade jetzt auf dem Court viel reifer und beherrschter wirkt als in früheren Jahren. War der Einser zu Beginn seiner NBA-Laufbahn dafür bekannt, dass er häufig ohne Plan B zum Korb zog, um dann gegen gute Defense in der Luft stehend den Fehlpass spielte, ist sein Spielansatz heute deutlich durchdachter.
Auch abseits des Feldes machte der Baller in den letzten Jahren einen vernünftigen Eindruck. Als Unternehmer zum Beispiel. So gab Schröder nicht etwa blind, wie so viele Sportstars, die am Ende ihrer Karriere völlig pleite sind, sein Geld aus. Er investierte. In sein Mode-Label „FlexGang“. Und in seinen Club namens „DS17 Lounge“. Doch auch in diesem Zusammenhang musste sich der Aufbauspieler neuerdings mit Anschuldigungen auseinandersetzen. Neben unzähligen Ruhestörungen, soll es vor der Bar häufig zu Schlägereien gekommen sein. Sein Laden soll zudem kleinkriminelles Klientel angelockt haben. Gegen seine Firma „The Golden Patch“, benannt nach Schröders Markenzeichen, den goldenen Haarsträhnen, die ihm einst seine Mutter, eine gelernte Friseurin, verpasste, gibt es offene Zahlungsaufforderungen: Seit Oktober 2016 sei keine Miete mehr bezahlt worden. Etwas über 80.000 Dollar muss der NBA-Profi noch zahlen. Eigentlich eine Summe, die der Deutsche mit dem dicken Vertrag aus der Portokasse zahlen können müsste. Warum er nicht zahlt – unbekannt! All das zeigt, dass der NBA-Court womöglich der einzige Ort ist, an dem Schröder nicht überfordert ist. Offensichtlich hat er sich mit den falschen Leuten eingelassen. Doch all das ist auch bereits ein Jahr her. Womöglich birgt sein Wechsel nach Oklahoma nicht nur sportliche Chancen, sondern ermöglicht ihm auch, einen Schlussstrich unter ein zuletzt unschönes Kapitel zu ziehen. Ein Neuanfang! Als er Ende September auf einer Pressekonferenz auf seine juristischen Probleme angesprochen wurde, reagiert „DS17“ entspannt: „Nothing to worry about“.
Diese Geschichte stammt aus der BASKET 1/2019. Hab ihr Bock auf ein BASKET-Abo?
Hinterlasse einen Kommentar