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LaMelo Ball – er will einfach nur spielen

Fans und Kritiker verfolgen LaMelo Ball schon seit der schlaksige Teenager in viel zu großen Trikots über die kalifornischen High-School-Hardwoods schwebt. Als jüngstes Aushängeschild einer kontroversen Basketballfamilie lernt er schnell, mit dem exorbitantem Druck von außen umzugehen. Und auch in der NBA hält er diesem Stand – sogar so gut, dass ihm viele nun noch weitaus größere Würfe mit den Charlotte Hornets und in der besten Basketball-Liga der Welt zutrauen!

LaMelo Ball (Charlotte Hornets, l.) zieht an Jevon Carter (Brooklyn Nets) vorbei. (Foto: Rich Schultz/Getty Images)

Die Augen sind immer da. Ganz egal, wo er hingeht. Wachsam und unersättlich verfolgen sie ihn, warten auf das, was als nächstes passiert. Es sind Tausende, Millionen wenn man die in den Weiten der digitalen Welt mitzählt, und jeden Tag kommen ein paar weitere hinzu. Kein Schritt ist möglich ohne Aufschrei, kein Wort ohne Kommentar. Vor allem aber tragen die Augen ein Gewicht mit sich, das durch ihre bloße Anwesenheit schon zur Bürde werden kann.

Zumindest wäre es so für viele andere. Für LaMelo Ball allerdings ist es einfach nur das Leben. Ein Leben, das er seit frühester Kindheit nicht anders kennt. Seit den Tagen, an denen er quasi mit den ersten aufrechten Schritten in Richtung vorbestimmter Zukunft unterwegs war. Diese Zukunft ist jetzt. Er hat die Prophezeiung erfüllt und ist in der NBA angekommen. Und hier können die Augen erst recht nicht mehr von ihm lassen.

Sportliche Neugier gepaart mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein

Da sind die kreativen Pässe, von denen viele Zuschauer oder selbst Mit- wie Gegenspieler gar nicht wussten, dass sie überhaupt existieren. Ebenso sind da diese ansatzlosen, tiefen Dreier, die er gekonnt mit einer immer noch seltsam anmutenden Bewegung versenkt, die eigentlich so gar nicht für die ganz große Bühne geschaffen zu sein scheint. Da sind das Lächeln und der jugendliche Frohmut, welchen er mit sportlicher Neugier und unerschütterlichem Selbstbewusstsein paart, so als ob es nichts Leichteres auf dem härtesten Hardwood der Welt geben könnte.

Die ganze (Basketball-)Welt kennt die Geschichte von LaMelo Ball

Für LaMelo sind diese Dinge sein Alltag, sie sind es, was ihn ausmacht. Diese Art von Spieler, die er in diesen Tagen in der NBA verkörpert, ist zweifelsohne einzigartig. Ganz so, wie sein kompletter Werdegang. Die gesamte Basketballwelt kennt die Geschichte von LaMelo Ball. Schließlich schreiben sein Vater LaVar, er selbst, wie auch seine Brüder, sie vom ersten Tag an auf große digitale Plakate. Mit „Sponsored by Big Baller Brand“ fasziniert die Familie Ball eine ganze Generation junger Hoopster. Sie fordert nicht nur etablierte Basketballeminenz heraus, sondern ist sich auch für wenig zu schade. Dabei kreiert sie ein Medienphänomen, das sich in einer Mischung von Kuriosität, Reality TV und ein klein wenig Fremdscham selbst in ungeahnte Höhen katapultiert.

Mein ganzes Leben war mir dieser Weg vorgezeichnet“

LaMelo Ball

Dass es nicht endet wie der Hochmut des Ikarus, der in der alten griechischen Sage der Sonne zu nah kam und daraufhin ins Meer stürzte, ist fast allein LaMelos Verdienst. Er legitimiert viele der Worte seines vollmundigen Vaters, er erfüllt viele der Lobpreisungen von einst. Und er erfüllt eine Vorbestimmung, die für viele lange Zeit wie Wunschdenken ausah. Nicht aber für den entscheidendsten im gesamten Konstrukt – LaMelo selbst.

„Mein ganzes Leben war mir dieser Weg vorgezeichnet“, sagt der Combo-Guard, der sich in seinem zweiten Ligajahr mit 19,3 Punkte, 7,3 Rebounds, 7,6 Assists (Stand: 13. Januar 2022) in den erweiterten Kreis der NBA-Elite vorarbeitet. „Seit ich geboren bin habe ich dieses Ziel vor Augen gehabt, alles wurde so geplant und darauf ausgerichtet. Jetzt kommt mir vieles von dem, was passiert, relativ normal vor. Wobei ich nicht sicher bin, was normal ist, mein Weg ist schließlich anders. Aber ich wusste schon immer, was es heißt, ein Star zu sein.“

LaMelo Ball – Profi mit dem Potenzial zur NBA-Ikone

LaMelo Ball weiß das nicht nur aufgrund seines Talents, welches bereits viele vor ihm in die NBA hob, sie aber allein dort nicht halten konnte. Auch wenn immer mehr Menschen in diesen Tagen fasziniert nach Charlotte blicken und bewundern, wie ein 20-jähriger Schlaks mit ständig wechselnder Frisur und eingelasertem Kreuz auf dem Zahn eine notorische Verlierer-Franchise auf neue Wege führt. So sind es doch die Dinge, welche der Öffentlichkeit verborgen bleiben, die LaMelo heute zu dem machen, was er ist. Ein ernstzunehmender NBA-Profi, bei dem sich nicht wenige Fans die Frage stellen, ob er nicht auch ein ikonischer werden könnte.

Auf und abseits des Courts steht LaMelo Ball, hier bei einem Dunk im Spiel gegen die Atlanta Hawks im Januar 2022, für eine gute Show.
(Foto: Jacob Kupferman/Getty Images)

LaMelo Ball weiß früh, was es heißt, schwächer oder kleiner zu sein

Es sind beispielsweise die unzähligen Einheiten gegen seine älteren Brüder Lonzo und LiAngelo, welche LaMelos Game von Kindesbeinen an prägen. Er weiß früh, was es heißt, schwächer oder kleiner zu sein. Somit lernt er früh, warum man schneller, besser und kreativer sein muss. Ebenso sind es einsame Sprints durch den weichen Sand von Wollongong. Die australische Industriestadt mit gottgegebener Küstenlage stellt eine von vielen farbenfrohen Episoden in LaMelos Basketballerleben dar.

Oder es ist ein Sommer 2021 in Charlotte, North Carolina. LaMelo Ball pendelt zwischen Gym und Apartment. Er reiht eine Trainingseinheit an die andere und legt somit den Grundstein für seine starke Sophomore-Saison. „Es war perfekt für meine Entwicklung. Ich hatte kaum Ablenkung und konnte mich ganz auf meine Entwicklung konzentrieren“, resümiert auch LaMelo über seine letzte Offseason. Seine harte Arbeit abseits des Courts stützt die Freizügigkeit des Künstlers und macht Fahrten zur Eisdiele mit neongelben Lamborghinis oder 100-Millionen-Dollar-Sneaker-Deals eines deutschen Sportartikelherstellers überhaupt erst möglich. Inklusive verfügbarem Privatjet, versteht sich.

Seit er denken kann, ist LaMelo Ball ein Celebrity

Der Status des einstigen Kinderstars ist dabei immer weniger Hindernis. Vielmehr ist es wohl genau diese Vergangenheit, die heute einen Kern von LaMelos Erfolg ausmacht. Seit er denken kann, ist er ein Celebrity. Und selbst wenn sein Selbstvertrauen immer schon ins Unermessliche geht, war doch die unvergleichliche Erfahrung seiner Kindertage eine Feuertaufe. Ein Teenager, dessen 92 Punkte für die Chino Hills High School von großen Fernsehsendern im Stile eines NBA-Playoff-Spiels minutiös analysiert werden, sieht sich einzigartigen Herausforderungen gegenüber. Viele davon auch selbst gewählt. „Ich kenne es ehrlich gesagt nicht anders“, so Ball über den Medienhype, der ihn auf Schritt und Tritt begleitet.

LaMelo Ball: „Ich spiele einfach nur Basketball“

Er tut es in Kalifornien, wo er sich früh für jegliche Aussagen seines prahlenden Vaters rechtfertigen muss. Des Mannes, der wie ein Puppenspieler alle entscheidenden Fäden im modernen Ball-Märchen zieht. LaMelo spielt auch als 16-Jähriger in Litauen einfach nur Basketball, wo gestählte Profis die Nase über ihn rümpfen. Kommt er doch mit vollkommen falschen Erwartungen und teurem Fellkragen in eine ferne Profiwelt.

Er selbst bezeichnet sie als „Horrorfilm“. Einen, in dem er wohl zu den ersten Opfern zählt. Basketball spielt er trotzdem weiter. Auch im relaxten Australien, wo er nach vielbeachtetem High-School-Intermezzo gar zwischen Strand, McDonald’s und Zeitverschiebung ein klein wenig Ruhe findet. Manchmal wundert man sich fast, das LaMelo Ball überhaupt an eben jenem dran geblieben ist, wenn man all den Druck bedenkt, dem er sich zeitweise gegenüber sah.

Hohes Maß an Genuss und Freiwilligkeit

Wer diesen nun letztendlich zu verantworten hat, ist am Ende nicht ganz so einfach zu beantworten. Auch wenn man reflexartig mit ausgestrecktem Finger auf Papa LaVar zeigen mag. Jener Vater hatte natürlich eine Hand im Spiel, welche allerdings von einer lüsternen Medienwelt nur zu dankbar geschüttelt wurde. „Ich fühle mich schon oft missverstanden. Viele wissen gar nicht, was ich alles durchgemacht habe“, gesteht LaMelo einst in einem der seltenen Momente, wo er keine Maske für die Öffentlichkeit aufgesetzt hat.

Ich fühle mich schon oft missverstanden und viele wissen gar nicht, was ich alles durchgemacht habe“

LaMelo Ball

Aber Opfer ist auch er nicht, bedenkt man die nicht selten zur Schau gestellte Freude an der gesamten Parade. Zwischen inflationärer Benutzung fragwürdiger Vokabeln, pinken Gucci-Plüsch-Sandalen und gelebter Internet-Persönlichkeit findet sich ein hohes Maß an Genuss und Freiwilligkeit. Letztendlich ist LaMelo mit diesen und jenen Dingen ein Kind seiner Generation, vielleicht sogar das Kind seiner Zeit. Zumindest ist er in Sachen Medienpräsenz und Social Media Status vielen seiner prominentesten Kollegen längst ebenbürtig. Wenn nicht sogar schon um etliche Flugmeilen enteilt. Er selbst bleibt aber dabei: „Mir bedeutet das nichts, ich spiele einfach Basketball.“

LaMelo Ball, das ausgebuffte Medienphänomen

Mit all ihren Facetten ist die Ball-Saga in Retrospektive sicherlich für jeden halbwegs motivierten Familientherapeuten oder engagierten Soziologen eine Aufgabe, die so manches Semester füllen würde. Für Basketball-Fans ist es derzeit weniger, vielleicht aber eben auch mehr. Denn auch in der NBA mimt LaMelo auf jeden Fall das, was er für eine ganze Generation Teenager in lässig geschnürten Sneakern schon lange ist: Must See TV.

Dabei gibt er neben seinen regelmäßigen Triple-Double-Jagden und vorsichtig formulierten postgame Interviews gar nicht mehr so viel von sich preis. „Manche Menschen halten mich mittlerweile für ein Rätsel und denken, ich wäre irgendwie abgehoben“, sagt der Hornets-Youngster. Im Gespräch mit der Presse klingt LaMelo inzwischen längst wie ein NBA-Veteran, der in jedem PR-Seminar besonders gut aufgepasst hat. „Ein Stück weit gebe ich ihnen sogar Recht und sehe es positiv, dass ich anders bin. So heißt auch mein Slogan – einfach ich selbst sein. Wenn man nur wie jemand anderes ist, hat das nichts. Ich bin einzigartig.“

Charlotte-Coach James Borrego wichtige Bezugsperson auf und abseits des Courts

Und nicht um markige Worte verlegen ist er ebenfalls nicht. Worte, denen er aber eben oft Taten folgen lässt. Spielerisch steht er als Profi trotzdem noch am Anfang seiner Reise, das weiß auch sein Coach James Borrego. Der einstige Lehrling von Gregg Popovich scheint das richtige Ying zu LaMelos Yang zu sein. Zumindest verstehen sich die beiden auch bei manch sportlicher Meinungsverschiedenheit abseits des Courts auf eine spezielle Art und Weise.

Oftmals trifft man LaMelo im Hause Borrego. Nicht etwa um über Basketball zu philosophieren, sondern um Pizza zu essen oder mit den Kindern der Familie im Pool herumzutollen. Hier findet der Junge mit den tätowierten Engelsflügeln auf der Brust seltene Momente der Erdung. Hier kann er abschalten und Kind sein, was ihm früher oft verwehrt blieb. Irgendwo im Herzen hat er es sich bewahrt. Mit seiner Liebe für besonders süße Süßigkeiten und Videospiele, seinem Hang zur Musik und der felsenfesten Überzeugung, das Müsli ein hohe Form der Kulinarik sei. Es ist genau dieses Kind, welches LaMelo Ball auch in den rasanten Jahren seines frühen Erwachsenwerdens nie verloren ging. Und das für seine innovative, erfrischende und lebensfröhliche Spielweise in der Gegenwart unabdingbar ist.

Physis, Defense, Freiwürde – Verbesserungspotenzial ist vorhanden

Ob diese Leichtigkeit des Basketballerseins auch wirklich einen nächsten Level erreichen wird, dürfte die Zukunft zeigen. Warnlampen wie inkonsequente Defense, wenige Freiwürfe oder eine ausbaufähige Physis gibt es genug. Ebenso ist die Auswirkung seines anormalen Profiweges auf sein langfristiges Potenzial ein Buch mit sieben Siegeln. Diese Dinge geraten aber schon jetzt oft in Vergessenheit ob der gezeigten Darbietungen des jungen Kaliforniers.

Von Kindesbeinen an kennt LaMelo Ball nur ein Ziel: ganz nach oben. (Foto: Sam Forencich/NBAE via Getty Images)

Er hat es in kürzester Zeit geschafft, im nach NBA-Standards beschaulichen Charlotte eine echte Euphorie auszulösen. Wenn wir ihn fragen, was er noch so von sich erwartet, dann wird die Antwort nur wenig überraschend klingen. Schließlich hat sich die Frage nach einem anderen Weg eigentlich nie gestellt. „Ich habe mich schon immer als Star gesehen. Vielleicht nicht als Rockstar, aber auf jeden Fall als etwas Besonderes“, sagt LaMelo über sich selbst. Und offeriert gleich noch ein weiteres Ziel: „In 15 Jahren möchte ich der beste Spieler sein, den dieses Spiel jemals gesehen hat.“

Ob daraus etwas wird, steht noch in den Sternen. Eines dagegen ist sicher: Eine ganze Reihe Augenpaare werden genau hinsehen.

Text: Moritz Wollert

Dieser Beitrag erschien zuerst in BASKET 03/2022


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