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Im Schatten der Stars

Selbstlosigkeit und Loyalität – Rollenspieler stellen sich immer voll und ganz in den Dienst der Mannschaft. Stets mit dem Ziel, den Superstar glänzen zu lassen. Doch wie fühlt sich eine NBA-Karriere in der zweiten Reihe, im Schatten an? BASKET hat sich der Wasserträgern und Zuarbeiter einmal angenommen.

Kurz vor Beginn der Playoffs ist OKC-Coach Billy Donovan voll des Lobes. Doch die anerkennenden Worte beziehen sich nicht auf seine eigenen Spieler, sondern auf die Arbeit seines Trainerkollegen Dwane Casey, der in der vergangenen Regular Season mit Toronto Großes vollbracht hat. Denn dass die Raptors anstelle von Boston oder Cleveland nach 82 absolvierten Spielen den ersten Platz im Osten einnehmen, hatte so vor der Spielzeit kaum jemand auf dem Zettel. Donovan stellte heraus, dass es Casey gelungen sei, seine Rollenspieler zu wertvollen Helfern reifen zu lassen. „Gerade die guten Leistungen der Rollenspieler sind verantwortlich für den großen Erfolg, den Toronto in diesem Jahr hatte“, erklärt der erfahrene Coach. „Sie spielen völlig selbstlos. Jeder Einzelne füllt seine Rolle ideal aus.“

Es kommt in der NBA nicht gerade häufig vor, dass den Mannen aus der zweiten Reihe so viel Anerkennung zuteil wird. In der Regel sind es die Franchise-Player, die Stars und Superstars, die Poster-Boys, die im Mittelpunkt stehen und die Lorbeeren für den Erfolg einstreichen. Und so ist es für gewöhnlich auch bei den Kanadiern. Auch hier stehen Nacht für Nacht die All Stars DeMar DeRozan und Kyle Lowry im hellsten Scheinwerferlicht. Doch die Beobachtungen Donovans sind absolut zutreffend. Eine solch gut geölte Maschine wie die der Raptors, bei der jedes einzelne Rädchen in das andere greift, ist nicht selbstverständlich. Jeder Spieler im rot-weißen Jersey nimmt seine Rolle ohne zu klagen an und füllt diese gewissenhaft aus.

So einfach und selbstverständlich, wie das klingen mag, ist dies in der NBA aber nicht. Nahezu jeder Spieler, der in der besten Basketball-Liga der Welt aufläuft, war in seiner Jugend der alles überragende Star in seinem High-School-Team. Bereits als Teenager erlebten sie den Hype. Denn selbst Ergänzungsspieler sind mit Awards überhäufte Ausnahmetalente, die oftmals zum besten Spieler ihres jeweiligen Bundesstaates gewählt wurden. In der NBA angekommen, werden jedoch nur die aller wenigsten von ihnen zu Stars. Für die meisten heißt es von nun an, das eigene Ego zurückzuschrauben, Kompromisse einzugehen und auf die richtige Chance zu warten.

Ein Paradebeispiel für einen Rollenspieler ist C.J. Miles. 2005 wurde er in der zweiten Runde des NBA-Drafts an 34. Stelle ausgewählt. Natürlich hatte auch er, als er in die Liga kam, bereits einiges vorzuweisen: So wurde er zum besten Spieler des gesamten Ballungsgebietes von Dallas ernannt und stand in der Top-20-Liste der besten High-School-Senior-Prospects des Landes.

Doch heute blickt der inzwischen 31-Jährige auf eine Karriere ohne Star-Rolle zurück. Er ist ein Dreierspezialist, der als Veteran auch im Locker Room wichtige Arbeit leistet. „Zu Beginn meiner Karriere ging es, egal wo ich hinkam, immer um mich. Und auch ich selbst war mehr mit mir als mit meinem Team und unserem Erfolg beschäftigt. Nicht dass ich egoistisch gespielt hätte, aber bei allem, was ich auf dem Court tat, ging es um mich. Ich machte damals den Extra-Pass nicht, um den Ball zu meinem Teamkollegen zu bringen, sondern um einen Assist zu verzeichnen.“

In der NBA ändert sich das Basketball-Leben für Miles gewaltig. In seinem Rookie-Jahr spielt er nur 23 Partien (8,8 Minuten) und kommt im Schnitt gerade einmal auf 3,3 Würfe pro Spiel. In den folgenden Jahren erkennt er, dass es für ihn in der Elite-Liga nur dann langfristig einen Platz gibt, wenn er seine Nische findet. Er ist Teil erfolgreicher Playoff-Teams, erlebt den Zusammenhalt und zieht seine Schlüsse: „Ich lernte von anderen großen Rollenspielern und wurde ohne jede Frage ein sehr guter Mannschaftskamerad. Versteht mich nicht falsch, natürlich liebe ich es weiterhin, im Mittelpunkt zu stehen. Aber ich habe gelernt, dass es sehr befriedigend sein kann, der Typ zu sein, mit dem jeder gerne zusammenspielt.“

JJ Redick.
Foto: getty images

Ein weiterer Bilderbuch-Rollenspieler ist J.J. Redick. Seine Umstellung vom Star zum Side-Kick fiel sogar noch krasser aus. Denn der Shooter war einst für die Vorzeige-Uni Duke der prägende Mann und wurde folgerichtig 2006 zum besten College-Spieler der gesamten USA ernannt. In der NBA bei den Magic angekommen, musste der Guard, dessen Nummer 4 in Duke unter dem Hallendach hängt, realisieren, dass seine Tage als Superstar nun gezählt sind. Lächerliche 8,1 Minuten Spielzeit erhielt J.J. in seiner Debüt-Saison.

„Ich musste meine Denkweise ändern und meine Ansprüche herabsetzen“, erklärte der heutige Sixer. „Für mich ging es in dieser Phase eher ums Überleben.“ Redick erinnert sich in dieser Zeit an eine Unterhaltung mit Duke-Coach Mike „Coach K“ Krzyzewski. Beide sind große Broadway-Fans, und der erfahrene Trainer riet seinem Starspieler vor dessen Gang in die beste Basketball-Liga der Welt, bei Theaterstücken auf die Nebendarsteller zu achten. „Auch sie müssen in ihren Rollen glänzen. Sie benötigen immer das richtige Timing und müssen alles, was sie tun, an den Protagonisten ausrichten. So mache ich das heute auf dem Court auch. Aber damals war es für mich sehr ungewohnt. Denn als ich für Duke spielte, erhielt ich bei jedem Angriff den Ball.“

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Etliche Rollenspieler sprechen rückblickend von dem großen Glück, das sie hatten. Denn die Spieler, die an der neuen, ungewohnten Situation nicht zerbrochen sind, wie es beispielsweise bei O.J. Mayo der Fall war, sind heute eher demütige Vertreter. J.J. Barea sagte einmal: „Ich habe meine NBA-Karriere Jason Terry, Devin Harris und Jason Kidd zu verdanken. Es hat mir enorm geholfen, diesen großen Spielern beim Spielen zuzusehen. In den ersten Jahren muss man immer Fortschritte machen und lernen, wie man in der NBA die Dinge angeht, sonst fliegt man aus dem System.“ Auch Taj Gibson, der an der Seite von Derrick Rose, Joakim Noah und Luol Deng in Chicago ein klassischer Zuarbeiter war, erinnert sich an seinen steinigen Start: „Hätte ich in Sacramento oder sonst wo gespielt, wäre ich heute vielleicht nicht mehr in der NBA. Ich hatte das Glück, am richtigen Ort zu sein. Denn bei den Bulls spielte jeder mit der richtigen Einstellung, und meine selbstlose Spielweise wurde dort wertgeschätzt. So musste ich mich nie egoistisch in den Vordergrund spielen, um mein Können zu demonstrieren.“

Für James Johnson, heute in wichtiger Rolle bei den Miami Heat, war der Anfang besonders schwierig. Denn der physisch starke Forward wechselte regelmäßig die Franchise. „Es war eine sehr schwere Zeit. Am schwierigsten war es zu akzeptieren, dass es nicht ich bin, der am Ende eines Spielzugs den Wurf nehmen wird. Meistens dachte ich mir, ich kann es besser als derjenige, der den Wurf erhält.“ Nun mit 31 ist es Johnson endlich gelungen in Florida den richtigen Spot zu finden. Bei den Heat wird selbstlos gespielt. Eine absolute Stärke des Teams! Denn nahezu jeder Spieler im Roster von Coach Eric Spoelstra wird von Zeit zu Zeit mit Verantwortung ausgestattet. „Ich habe nun endlich den Traumjob, nach dem ich so lange gesucht habe. Ich bin so glücklich bei den Heat“, freut sich Johnson, der durch seine Vielseitigkeit zu gefallen weiß.

Bei Jamal Crawford dauerte es fast ein Jahrzehnt, ehe er seinen Traumjob fand. Und diesen nahm er dann auch nur zögernd an. Denn in den ersten acht Jahren seiner Karriere war der Point Guard mit dem herausragenden Ballhandling stets einer der verlässlichsten Scorer der NBA. Dennoch gelang es Crawford nie, sein Team in die Playoffs zu führen. „Ich war bekannt als guter Spieler in einem miesen Team. Ich kam irgendwann an einen Punkt, wo ich es satt hatte“, beschrieb er einmal sein damaliges Gefühlsleben. Erst 2009, als er von den Warriors zu den Hawks getradet wurde, änderte sich alles für den heute 38-Jährigen. Der Mann, der als Starter einst durchschnittlich 39,9 Minuten auf dem Hardwood stand, akzeptierte seine Bank-Roll. Ein Glücksfall für Atlanta und Crawford. Denn der Meister des Crossovers wurde zum „Sixth Man of the Year“ gekürt. Jene Auszeichnung, die in ein paar Jahren sogar nach ihm benannt werden könnte, denn Crawford wird noch zwei weitere Male zum besten Sechsten Mann ernannt. In die Playoffs schaffte er es, bis auf eine einzige Ausnahme, fortan in jeder Saison. „Ich hatte 18 Coaches in meiner Karriere“, sagt der Veteran und beginnt, sie alle der Reihe nach aufzuzählen. „Jeder hatte eine andere Auffassung, was die optimale Rolle für mich sei. Seit sich alle einig sind, dass ich ein Sixth Man bin, habe ich Ruhe. ich bin stolz auf meine Rolle.“

Jamal Crawford sucht noch immer nach einem Rosterspot für 2018/19.
Foto: getty images

Dem Wechsel von einer größeren Rolle auf eine kleinere zu vollziehen ist selten einfach für einen Spieler. Vince Carter, zu Beginn seiner Karriere einer der größten Stars der Liga, tat es und spielt auch mit 41 Jahren noch immer in der NBA. Allen Iverson war seinerzeit nicht in der Lage, sich mit einer kleineren Rolle abzufinden und machte folglich seine letzte NBA-Partie im Alter von 34 Jahren. Auch Isaiah Thomas war nach seinem Trade zu den Lakers nicht bereit, von der Bank zu kommen, und betonte dies in gleich mehreren Interviews mit Nachdruck. Letztendlich akzeptierte „IT“ die neue, ungeliebte Rolle, um seine Karriere zu retten. Doch ohne die Bereitschaft, die Rolle anzunehmen und sie mit Einsatz und Wille auszufüllen, ist kein Spieler, unabhängig davon, wie gut er ist, ein wertvoller Sixth Man. „Man muss seine eigene Eitelkeit aufgeben. Man muss sich voll und ganz in den Dienst der Mannschaft stellen. Eigene Statistiken sind völlig egal“, erklärt Crawford. „Es ist eine Mentalitätsprüfung, denn man opfert etwas. Ich hätte nie gedacht, dass es ein so großes Opfer ist.“

Spieler, die diese Mentalitätsprüfung bestanden haben, wie Ginobili oder Allen, erhalten von ihren Mitspielern den größten Respekt.  „Er ist der härteste Kerl, den ich je gesehen habe. Er kämpft um jeden Screen, er verteidigt jeden Wurf. Er arbeitet verdammt hart. Er ist ein großartiger Spieler“, lobt „Big Spain“ seinen langjährigen Teamkollegen. „Man kann sich immer auf ihn verlassen. Jeder Spieler will 20 Punkte scoren, aber Tony hat kein Problem, 100 Sprints anzuziehen, um den gegnerischen Star auszuschalten und am Ende selbst nur vier Zähler aufzulegen.“

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