Beeindruckende Präsenz: Der 2,13 Meter große Deutsche Isaiah Hartenstein überzeugt im OKC-Jersey.

Nach einer grandiosen Saison bei den New York Knicks haben die Oklahoma City Thunder Isaiah Hartenstein zum drittbestbezahlten deutschen Sportler aller Zeiten gemacht. Der Center soll das letzte Puzzleteil im Kampf um die Meisterschaft sein. Wir zeigen, was ihn in derzeit so stark macht.

Text: Kijanusch Holz

Isaiah Hartenstein ist ein Name, der in den letzten Jahren in der NBA immer mehr an Bedeutung gewonnen hat. In der vergangenen Offseason bot ihm die Franchise aus Oklahoma nach einer grandiosen Saison bei den New York Knicks einen Vertrag über knapp 81 Millionen Dollar für drei Jahre an. Heute ist der groß gewachsene Deutsche ein wichtiger Bestandteil im Team um Shai Gilgeous-Alexander. Diese Rolle ist dem 2,13 Meter großen Center nicht in den Schoß gefallen – er hat sich seinen Weg in die Liga durch harte Arbeit und Disziplin erarbeitet. Bei seinen ersten Stationen in der Liga, unter anderem bei den Houston Rockets oder den Los Angeles Clippers, fand Hartenstein noch nicht richtig Fuß auf dem Parkett. Kaum mehr als 20 Minuten spielte er und blieb damit unter seinen Möglichkeiten, wie der Blick in die Gegenwart unschwer erkennen lässt. Doch er ließ sich nicht unterkriegen. Bei den New York Knicks kam er in seinem zweiten Jahr im Big Apple vor allem durch die Verletzung des Starting-Centers Mitchell Robinson immer besser in Schwung und zeigte der Basketballwelt schließlich, was in ihm steckt. Dort glänzte der „Big-Fella“ nicht nur als solider Rollenspieler, sondern auch als vielseitiger Center mit seltenen Playmaking-Skills und starker Defense, vor allem in der Rim-Protection. Er blockte in dieser Saison 1,1 Mal und holte zudem 1,2 Steals pro Spiel. Offensiv überzeugte der in Eugene, Oregon geborene Deutsche in 25,3 Minuten pro Abend mit 7,8 Punkten, 8,3 Rebounds und 2,5 Assists. Heute läuft er im Dress der Thunder auf und macht keinen Eindruck, als würde er hinter seinen Leistungen zurückbleiben. Im Gegenteil, der 26-Jährige scheint sich im System von OKC-Headcoach Mark Daigneault pudelwohl zu fühlen und bringt sein Spiel auf ein noch höheres Niveau. Dabei verlief der Start im neuen Team alles andere als rosig.

Verletzungspech bei den Thunder

In einem Preseason-Spiel gegen die Denver Nuggets brach sich Hartenstein die linke Hand und fiel sechs Wochen aus. Damit verpasste er den Start und die ersten 15 Spiele der neuen Saison. Das war natürlich bitter, denn die Vorfreude, gemeinsam eine neue Ära einzuläuten, war auf beiden Seiten groß. Das musste erst einmal warten. Doch nicht nur der deutsche Center war vom Verletzungspech verfolgt, sondern auch die Konkurrenz auf seiner Position. Das 22-jährige Talent Jaylin Williams verpasste sogar die ersten 27 Spiele wegen einer hartnäckigen Oberschenkelverletzung. Lediglich Chet Holmgren, der einzige noch fitte Center im Kader, konnte in den ersten zehn Spielen für wichtige Einsatzminuten sorgen. Doch im zehnten Spiel kam die Hiobsbotschaft: Chet stürzte bei einem Blockversuch gegen Andrew Wiggins im Spiel gegen die Golden State Warriors unglücklich auf die rechte Hüfte und verletzte sich so schwer, dass auch er bis auf Weiteres ausfiel. Ganze fünf Spiele, bis Hartenstein wieder auf dem Parkett stand, spielten die Thunder ohne einen ihrer wichtigsten Center. Doch gerade durch das Verletzungspech und den Ausfall der beiden anderen Center musste er nach seiner Verletzung direkt viele wichtige Minuten gehen. Da blieb keine Zeit, sich langsam heranzutasten. Aber das schien ihn nicht zu stören. Er spielte sofort den Basketball, für den er bekannt ist und für den ihn die Thunder verpflichtet hatten, und legte sogar noch einen drauf. Bei seinem Debüt gegen die Portland TrailBlazers spielte der Deutsche 28 Minuten und glänzte mit 13 Punkten, 14 Rebounds, drei Assists und vier Blocks. Nach dem Spiel gab es dann auch das verdiente Lob von Trainer und Teamkollegen.

„Er hat das Spiel verändert. Alles ist so viel einfacher mit ihm auf dem Court“,

schwärmte sein neuer Teamkollege und MVP-Anwärter SGA. Dadurch war der erste Schritt geschafft. In den nächsten Partien konnte man auch keinen Leistungsabfall erkennen. Er legte in seinen ersten fünf Spielen für die Franchise direkt fünf Double-Doubles auf.

Vielseitiger Center

Was macht Hartenstein so stark und warum funktioniert er bei den Thunder so gut? Der 2,13 Meter große Quakenbrücker spielt derzeit die beste Saison seiner Karriere. Im Schnitt erzielt er in 29,8 Minuten pro Abend 11,8 Punkte, 12,2 Rebounds und 4,1 Assists. Im Vergleich zu seiner gesamten Karriere sind das fast sechs Punkte, sechs Rebounds und drei Assists mehr. Wir haben gesehen, dass das vor allem daran liegt, dass er aufgrund seiner Verletzung sehr viel Verantwortung bekommt und diese auch nutzen kann. Das wäre aber nicht möglich, wenn er nicht in das System von Coach Mark Daigneault passen würde. OKC suchte genau so einen Spielertyp, der das Offensivspiel nicht stagnieren lässt, sondern mit Übersicht und Basketball-IQ für flüssige Spielzüge sorgt. Von diesem Kaliber gibt es nicht viele auf dem Spielermarkt. Um nur einige Namen zu nennen: Nikola Jokic, Alperen Sengun und dann noch Isaiah Hartenstein! Sein Spielstil ist stark auf „Pick and Roll“-Situationen ausgerichtet, die er mit cleveren Laufwegen zu seinem Vorteil nutzt. Entweder findet er beim Rollen den freien Mann, der cuttet oder zum Wurf bereit ist, oder er fängt Alley-Oops, die er mit kraftvollen Jams verwandelt.

Erst kürzlich, im vorzeitigen Season-Finalduell gegen die Celtics, wurde Hartenstein in eine Lob-Situation gebracht, die er dann eindrucksvoll über Top-Verteidiger Derrick White vollendete. Aber er ist nicht nur als Picker eine Waffe. Oft hat er den Ball auch schon in der Hand und dribbelt dann schnell zum Handoff, wodurch er in Situationen kommt, in denen er den Ball verteilen und einige Assists verbuchen kann. Insgesamt zeichnet sich Hartensteins Offensive dadurch aus, dass er immer schnelle und kluge Entscheidungen trifft. Er geht in seiner Rolle als Blocker auf und weiß sofort, wohin er gehen muss, um sich einen Vorteil zu verschaffen. So schafft er mit seinen Basketball-Skills Raum für SGA und Co. und hebt das Team noch einmal auf ein anderes Level.

Defense wins Championships

Nicht ohne Grund haben die Thunder seit der Verpflichtung des Big Man nur einmal in der Regular Season verloren. Man kann ihn schon vorsichtig als Sieggarant bezeichnen. Sein Win Shares Wert von 3.1 ist zwar nicht der beste im Team, aber das liegt auch daran, dass er nicht die Rolle des Franchise-Players einnimmt, sondern als effektiver und intelligenter Rollenspieler agieren muss. Dafür ist dieser Wert eine Hausnummer. Er hat einen großen Einfluss auf das Spiel, obwohl seine Nutzungsrate nur bei 17,3 Prozent liegt. Das liegt vor allem an seinen cleveren Bewegungen abseits des Balles. Nicht umsonst ist er Teil der meistgespieltesten Line-Up der Mannschaft neben Luguentz Dort, Shai, Cason Wallace und Jalen Williams. Sie standen in der bisherigen Saison zusammen 250 Minuten auf dem Feld und kommen auf einen Plus/Minus-Wert von 17,9 Punkten. Einer der Hauptgründe für diesen Spitzenwert ist neben der flüssigen Offensive die exzellente Defensive. Hartenstein ist nicht nur in der Offensive ein trickreicher Spieler, sondern auch im Rebound. Pro Spiel blockt er 1,3 Mal. Doch das allein reicht nicht aus, um das Defensivspiel der Thunder zu beeinflussen.

Der Big ist da, wenn man ihn braucht. Wenn er auf dem Feld steht, kassiert sein Team nur 99 Punkte pro 100 Einsätze. Nur Chet Holmgren hat mit 98 Punkten einen besseren Wert im Kader der Thunder. Durchschnittlich kassiert das Team 103,7 Punkte pro Spiel, der beste Wert der Liga. Hartenstein sorgt also mit dafür, dass OKC so wenig Punkte kassiert wie kein anderes Team in der NBA! Wenn das Team so weitermacht, kann der deutsche Center im blau-orangen Trikot viel erreichen. Das Sprichwort „Offense wins games, defense wins championships“ könnte in dieser Saison Wirklichkeit werden. Mit nur sieben Niederlagen stehen sie unangefochten an der Spitze der Western Conference. Und das ohne ihren Superstar Holmgren, der die meiste Zeit der Saison fehlte. Selbst gegen den amtierenden Meister ließen sie am 5. Januar in der zweiten Halbzeit nur 27 Punkte zu – und das gegen die zweitbeste Offensive der Liga.

Das Zusammenspielt klappt: “SGA” und Isaiah bilden ein Traum-Duo bei OKC.


Chet oder Isaiah?

Der Traum vom Ring ist real. Mit Hartenstein auf dem Feld ist das Team um Shai bärenstark, aber mit Holmgren kehrt ein Spieler von Superstar-Format zurück. Die Frage wird sein, wie die beiden Center harmonieren. Der 22-jährige Superstar kann auch auf der Vier spielen, so dass die beiden als Twin-Tower-Duo auf dem Feld stehen könnten, ohne dass sie sich in der Zone in die Quere kommen. Vor allem der Spiel-IQ von Hartenstein würde es ermöglichen, dass die Offensive auch mit zwei großen Spielern nicht in die Bedrängnis gerät und wie ein Uhrwerk ineinander greift. So könnte auch dann noch genug Platz für die athletischen Guards wie Shai bleiben, der auch gerne den Korb attackiert oder aus der Mitteldistanz wirft. Wahrscheinlich wird immer einer der beiden auf dem Feld stehen. Ob sie dann am Ende viel zusammen, mit Jaylin Williams oder alleine spielen, wird sich daran zeigen, wie effektiv sie zusammen sein können. Gerade weil man aktuell sieht, wie es mit nur einem Big in der Rotation beim Meisterschaftsanwärter läuft, wird man gespannt auf die Lineups schauen, in denen zwei Center auf dem Feld stehen. Wir sind zuversichtlich, dass es auch mit beiden auf dem Feld funktionieren kann – gerade wegen der Stretch-Big-Fähigkeiten von Chet und der cleveren Bewegung von Hartenstein, der die Situation auch schon aus New York kennt.


Diese Story erschien zuerst in der BASKET 04/25.

Fotocredits: Getty Images

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