Gary Payton hat den Basketball nicht verändert, aber er hat ihm in seiner Zeit eine zusätzliche Farbe gegeben. Weil er ein außergewöhnlicher D-Guard war. Und Jordan zur Weißglut trieb. Und weil sein Trash-Talk legendär wurde.

Am 6. September des Jahres 2013 ist es Phil Taylor, der diese Sätze über Gary Payton schreibt. Anlass ist die Aufnahme von Gary „The Glove“ in die „Naismith Memorial Basketball Hall of Fame“. Damals ist Gary 45 Jahre alt und seit rund drei Jahren NBA-Rentner, nach 17 Spielzeiten in der besten Basketballliga der Welt. Und Phil Taylor ist Senior-Sports-Writer für die US-amerikanische Sportmagazin-Ikone „Sports Illustrated“, einer ihrer großen und populären Autoren und ein Experte für Basketball. Und er schreibt: „Wir kennen ihn jetzt mit Sicherheit, nach 17 Spielzeiten in der NBA voller Geschwätzigkeit, die ihn nun nach Springfield, Massachusetts, geführt haben, wo er jetzt in die ,Basketball Hall of Fame‘ aufgenommen wird. Payton, der neun Mal in das All-Defensive-First-Team gewählt wurde, verdiente sich seinen Platz in der Ruhmeshalle wegen seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten in der Defense – die leider immer seine ebenso beträchtlichen offensiven Fähigkeiten überschattet haben, und nicht wegen seines redseligen Charakters. Trotzdem wäre es nicht unangemessen, wenn seine Plakette in der Hall of Fame ihn darstellen würde in einer anderen, vertrauten Pose: den Mund weit geöffnet, das Kinn trotzig hervorstehend und alles begleitet von einem Band seiner größten Trash-Talking-Hits, die in einer Endlosschleife spielen.“

Ach, Phil! Der Mann kann formulieren, und im Original klingt das noch besser. Übrigens, Phil Taylor hat auch für BASKET geschrieben, aber zu den Zeiten, in denen Gary Payton tatsächlich noch ein aktiver Basketballer gewesen ist. Auch ich hatte eine Zeit lang das Glück, Gary beim Sport zusehen zu dürfen, in Blicknähe von der Tribüne aus, manchmal sogar banknah. Selbst riechen konnte ich ihn, weil Locker Rooms in der NBA auch für Journalisten zeitweilig offen gewesen sind.

Deshalb ist Gary für mich auch immer eher ein hyperaktiver Spieler gewesen, was sicher nicht unüblich erscheint für einen Point Guard. Für einen, dessen D wie Defense auf den Guard des Gegners wirken musste wie … nicht wie eine der üblichen lästigen D-Fliegen, sondern wie ein ganzer Schwarm dieser verdammten Viecher, die man scheinbar nie loswerden konnte.

Der Trash-Talk-Titan

Noch entscheidender ist aber eigentlich diese permanente Rederei gewesen, dieses Geschnatter, die Schwätzerei, laut, dreckig, anmaßend, nicht selten beleidigend, oft witzig – Trash-Talk eben, zwischen den Spielern ebenso akzeptiert wie anerkannt auf den Tribünen. Noch mal Phil: „Gary war nicht der erste Spieler, der Trash-Talk quatschte, aber er war einer der intensivsten und kreativsten, und er hat dazu beigetragen, dass Trash-Talk sogar erwartet und weitgehend akzeptiert wurde als Teil des professionellen Spiels.“ Und so wird Gary zur Ikone des Trash-Talks!

Sagt auch Shaquille O’Neal, der mit „GeePee“ in der Saison 2005/06 bei den Miami Heat gespielt hat und NBA-Champion wurde: „Ich habe mit GP gespielt und ich habe gegen GP gespielt, und das Verrückteste an ihm ist immer gewesen: Er war auf dem Court und auch außerhalb des Courts so. Selbst wenn er dich im Einkaufszentrum gesehen hat!“ Auch Phil Taylor kann eine ähnliche Geschichte erzählen, die zeigt, dass Gary Payton den Trash-Talk kultiviert hat wie kein Zweiter.

Es ist 1990, Gary Payton spielt noch am College für Orgegon State (dort von 1986-1990, war 1987 Freshman of the Year), und Phil ist Autor für „The National“. Für eine Reportage kommt er nach Corvallis und beobachtet Gary beim Schußtraining: „Jeder Versuch wurde von einem Kommentar begleitet. ,Nimm deine Hand runter, du kannst das nicht aufhalten‘ oder ,Zu spät! Nimm den frühen Bus und komm beim nächsten Mal schneller hierher!‘ oder ,Du drehst dich nicht mal um, du weißt also, dass er reingegangen ist‘ oder ,Oh, noch einer. Wie hat sich das angefühlt?‘ Das ganze Gerede wäre nicht so ungewöhnlich gewesen, da Paytons Ruf bereits bekannt war, nur: Niemand spielte Verteidigung. Payton verspottete die Luft.“ Auch an die Antwort auf die Frage „Warum“ erinnert er sich: „Er legte den Kopf schief und sah mich für einen Moment verwirrt an und sagte: ,Es kommt einfach aus mir heraus. Wenn du mich kennst, weißt du, dass ich immer reden werde‘.“

Beispiele … NBA-Finals 1996, Chicago Bulls gegen die Seattle Super-Soncis, eigentlich Payton gegen Michael Jordan. Mit einer der wohl schrägsten T-T-Szenen von Gary: seinem Biss-Angriff auf MJ. Den Gesprächsteil enthüllt Gary später mal bei ESPN: „Wir beiden haben viel gequatscht. Und atürlich

viele ,s…‘ und ,f…‘ und ,f… you‘. Und dann hat sich Ron Harper darauf eingelassen, Scottie Pippen hat sich darauf eingelassen, Phil Jackson hat sich darauf eingelassen. Und so ging es mit viel ,f… you‘ hin und her.“

Auch Sidney Lowe (heute 60), der ehemalige Coach der Minnesota Timberwolves, hat leiden müssen: „Setz dich, du Schlumpf.“ Oder der Fan in Sacramento, der zu hören bekam: „Du zahlst, um mich zu sehen! Ich bezahle nicht, um dich zu sehen. Warum hältst du nicht die Klappe und schaust dir das Spiel an?“ Und vor einem Spiel gegen die damaligen New Jersey Nets schaute er auf die spärliche Menge in deren „Meadowlands Arena“ und spottet deren Point Guard Kenny Anderson an: „Wenigstens wird niemand sehen, wie ich dir den Ball wegnehme.“

Hart eingesteckt hat auch Jason Kidd, erst als High-Schooler, weil beide in Oakland aufwuchsen („Gary war fünf Jahre älter“), und später auch in der NBA. Kidd erinnert sich: „Er redet gern, er redet viel Müll. Dinge wie ,Hey, du wirst nicht punkten, eigentlich wirst du heute keinen Schuss bekommen‘ oder ,Du wirst nach Hause gehen und weinen‘.“

Als Verteidiger unvergleichlich

Gary Payton ist also nachweislich ein begnadeter Trash-Talker gewesen, für Ex-Mitspieler Shaun Kemp ist er aber nicht nur das: „Klar, er hat dir vor dem Spiel gesagt: ,Ich werd‘ dich schlagen, ich werde zwanzig Punkte machen, über dich drüber, dazu zehn Assists, und es wird nichts geben, was du dagegen tun kannst‘. Aber dann würde er auch am Ende bei 20/10 stehen und einen ziemlich guten Job gemacht haben.“

Dieser große mächtige Power Forward Kemp (2,08 m, 104 kg) kennt den eher kleinen, schmächtigen Guard Gary (1,93 m, 81 kg) gut, beide haben während der großen 90er-Jahre der damaligen Seattle SuperSonics ein kongeniales Duo abgegeben.

Der Große ist damals schon ein Jahr da, als College-Boy Payton, ein frischer 22-Jähriger, aufläuft; mit dem hatten die Sonics bereits im Jahr 1989 einen kleinen Pick-Handel abgewickelt mit den Golden State Warriors, um ihn dann 1990 als No.-2-Pick in Runde eins endgültig ins Team zu holen. Die Ära an sich aber beginnt erst 1992 mit dem neuen Coach George Carl und dem ersten deutschen Topspieler in der NBA: Detlef Schrempf. Der wechselt 1993 von Indiana nach Seattle und wird dort endgültig zu einem NBA-Superstar.

Das Jahr 1996 – und BASKET

Und dann kommt 1996, das Payton-Jahr. Gary gilt als der beste Verteidiger der Liga (Defensive Player of the Year), greift die meisten Steals, er ist mal wieder All Star (total: neun Mal), erreicht die Finals, macht dort die meisten Minuten, erzielt die meisten Dreier (41) – und verliert gegen Jordan und die Chicago Bulls. Um Wochen später dann doch den ersten großen Titel seiner Karriere zu holen: In Atlanta wird er mit dem US-Nationalteam Goldmedaillengewinner.

Payton ist heiß. Bleibt heiß. Damals auch für BASKET. Er taucht auf in Geschichten, bekommt bald seine eigenen Cover und Titelgeschichten wie in Ausgabe 11/1998; im Zentrum stehen dann oft sportliche Qualitäten, aber oft auch sein Karriereweg, sein Charakter und, natürlich, sein Image als die verrückteste Quasselstrippe der Liga.

Doch wie stark der Guard Gary Payton in diesen Jahren sportlich eingeschätzt wird, zeigt eine BASKET-Geschichte von Phil Taylor, der unter dem Titel „The Genius Guards“ über die führenden Spielmacher der Liga philosophiert. Eine Story, zu der dann David DuPree, damals einer der führenden Basketball-Analytiker und Redakteur der großen Tageszeitung „USA Today“, mit seiner Top Five der Guards den sportlichen Punkt der Story setzt. Und David gibt Gary die meisten Punkte, setzt ihn so vor Spieler wie Tim Hardaway (damals Miami), Jason Kidd (Phoenix), Rod Strickland (Washington) und den aufstrebenden Allen Iverson (Philadelphia).

Einige seiner Hauptkriterien (er hat dafür das Maximum von zehn Punkten gegeben) sind gewesen: Defense, Führungsqualit.ten und Passspiel/Mannschaftsdienlichkeit, aber auch Ballhandling und „Zug zum Korb“. Was zeigt, Gary Payton war damals mehr als nur der beste D-Guard.

Diese 96er-Finals sorgen für Legenden-Status

Wahrscheinlich sind es auch wieder diese Finals gegen die Bulls gewesen, die diesen Eindruck zur Legende trieben. Weil damals der verzweifelte Seattle-Coach George Carl, beim Stand von 0:3 in der Serie, den kleinen (193 vs. 198 cm) und leichteren (81 vs. 88 kg) Gary gegen die Lufthoheit Air Jordan stellte, der die Sonics bis dahin mit 28/29/36 Punkten fast im Alleingang vorgeführt hatte. Doch mit Gary an der Backe von Jordan dreht Seattle (fast) die Serie, weil His Airness in den nächsten Spielen nur 26/23/22 Punkte liefert. Die Tageszeitung „The New York Times“ bilanziert seinerzeit nach Spiel fünf: „Die elf Punkte, die die Bulls im zweiten Viertel erzielt haben, waren die wenigsten in der Finals-Geschichte der NBA, neben den Knicks von 1972.“

Und auch ein Verdienst von Gary Payton, damals 28 Jahre alt. Weil der dafür sorgt, dass der „Bleacher Report“ seither drei Spiele aus den 96er-Finals in der Liste von „Michael Jordans Top 10 der schlechtesten NBA-Finalspiele“ führt.

Die Tragik: Die Bulls gewinnen trotzdem 4:2; vielleicht auch der Grund, warum Gary oft auch später noch schnippisch anmerkt: „John Stockton war schwerer zu verteidigen als Michael Jordan.“ Wobei die Erklärung danach schon Sinn macht: „Stockton war immer ruhig, in Jordans Kopf kam ich besser rein, konnte ihn ablenken.“

Von Team zu Team

Auch in den Jahren nach diesen legendären Finals bleibt Gary Payton ein Großer in der NBA, noch 2000 wird er zur No. 1 in der Liga bei Dreiern und Assists; bei den Olympischen Spielen holt er, diesmal als Captain des US-Teams, noch einmal Gold. Um dann 2003 nach einem Streit ums Geld mit den Besitzern der Sonics abgeschoben zu werden. Damals ist sogar davon zu lesen, dass sich Gary zusätzlich „verraten gefühlt hat, als er wie ein x-beliebiger Spieler im Februar in einem Fünf-Mann-Trade im Austausch für Ray Allen zu den Bucks verschachert wurde“.

Er nutzt aber seine Staus als Free Agent, um dann im Sommer bei den Los Angeles Lakers anzuheuern. Um nämlich, mit 35 Jahren, endlich einen Ring an den Finger zu bekommen. Gary will unbedingt Champion werden (wie der damals schon 39-jährige Karl Malone auch), was ihm in L.A. mit Coach Phil Jackson, dem schon 31-jährigen Shaquille O‘Neal und dem jungen Kobe Bryant (damals 25) wohl gelingen dürfte. Leider gelingt das erneut nur fast, weil die Detroit Pistons das Finale erstaunlich klar mit 4:1 für sich entscheiden.

Obwohl Payton gespielt (82x) und geliefert hat (im Schnitt 14,6 Punkte, 5,5 Assists, 47,1 Wurfquote), schicken ihn die Lakers nach Boston, die ihn dann, nach nur einem Jahr, weiter verschieben nach Atlanta, wo ihm die Hawks nur ein Woche später die Tür erneut öffnen, damit Free Agent Payton, mittlerweile 37, wieder nach Boston kann. Um am 22. September 2005 von dort für seine letzte Vertragsunterschrift nach Miami zu fahren. Dort will GP den letzten Versuch für seinen letzten Wunsch starten: Championship.

Und er wählt gut! Die Heat waren im Jahr zuvor überraschend in den Conference-Finals an den Pistons gescheitert, hatten danach radikal umgebaut (neun Neue) und waren heiß. Mit Shaq (mittlerweile 33) und dem 35-jährigen Alonzo Mourning trifft Gary auf ein ebenso erfahrenes Big-Man-Duo, dazu ist der ausgebuffte Shooter Antoine Walker und „White Chocolate“ Jason Willimas im Boot. Und mit dem 23-jährigen Dwayne Wade steht bereits einer der Hot-Shots der NBA im Roster, der Gary und die Heat mit besten Statistiken (im Schnitt 27,2 Punkte, 6,7 Assists) bis ins Finale und zu einem sicheren 4:2 gegen die Dallas Mavericks mit Dirk Nowitzki führt.

Und Gary Payton? Schließt sauber und zuverlässig ab! Im Sinne von David DuPree hat Gary auch diese Saison fast durchgespielt, auch den Heat wie üblich Steals (No. 2 im Team) und Assists (No. 3) geliefert, aber auch deren drittbeste Wurfquote (42%). Ehrenwert für den ältesten Burschen im Team.

2007 zieht Gary Payton dann endgültig die Baskabllschuhe aus; und zehn Jahre später steht er dabei, als im „Paramount Theater“ in Seattle sein Trikot neben die von anderen legendären SuperSonics (Lenny Wilkens, Spencer Haywood, Fred Brown) an die Decke gezogen wird. In einer Stadt, in der seit 2008 kein NBABasketball mehr gespielt wird, weil die Franchise nach Oklahoma City (als Thunder) verschickt wurde. In der Stadt, in der Funktionäre eine Franchise führten, die ihn mit Schimpf und Schande vom Acker getrieben hatte. Und Gary sagt: „Ich würde nicht nach Oklahoma gehen wollen und dort mein Trikot endgültig an den Nagel hängen. Ich habe sehr lange auf diesen Moment gewartet. Und Seattle verdient es, niemand anders.“

Danach bleibt es still. Ob damit auch die Karriere der Quasselstrippe endgültig vorbei ist?

Eher nicht, auch heute ist der 51-jährige Gary Payton noch reichlich lautstark unterwegs auf vielen Kanälen. Und vielleicht macht er auch heimlich mit seinem Sohn Gary Payton II Trash-Talk-Training. Denn der 27-Jährige, derzeit ist er ein Wizard, versucht seit 2017, sich in der NBA durchzusetzen. Und dabei kann ein gepflegter Trash-Talk ja nur helfen, oder Gary?

 

Text: Fred Wipperfürth

Fotos: Gettyimages