Kobe Bryant wird heute 41 Jahre alt. BASKET gratuliert der „Black Mamba“ nicht nur herzlich, sondern hat auch die Archive durchstöbert. Gefunden haben wir einen Text aus dem Jahr 2006. Damals musste sich Bryant viel Kritik gefallen lassen. Nach dem Kobes kongenialer Partner Shaq die Lakers 2004 verlassen hatte, forderten die Fans, dass „KB24“ auch ohne den Ausnahme-Center eine Meisterschaft gewinnen müsse. Es sollte bis zum Jahr 2009 dauern, ehe Kobe seinen vierten – und ein Jahr später seinen fünften – Ring gewann. Viel Spaß mit dem interessanten Zeitzeugnis.

Es hat diese Zeit gegeben, als Kobe Bryant am Boden war. Ein Basketballgott, abgestürzt aus dem Olymp der NBA, privat in der Kritik, sportlich ins Abseits gerutscht. Dazu gefangen in einem Netz aus Arroganz, Egozentrik und Starrsinn. „Er ist ein Egozocker, der zwar starke Stats abliefert, aber es nicht schafft, einer mittelmäßigen Truppe das Winner-Gen zu geben“ – so das vernichtende Urteil am Ende der vergangenen Saison. Der enttäuschenden ­Serie eins der „Post-Shaquille-O’Neal-Ära“ in Los Angeles. Durchschnittlich 27,6 Punkte vom zweitbesten Scorer der NBA haben den Absturz der Lakers nicht verhindern können. 34 Siege und 48 Niederlagen bedeuten die fünftschlechteste Bilanz der Vereinsgeschichte. Und eine persönliche Niederlage für einen, der den Glamour-Club aus L.A. wieder zum Champion machen wollte. 

Jetzt ist Kobe wieder da. Quasi mit einem Jahr Verspätung liefert er das ab, was sich die Lakers von ihm erhofften, als sie ihn 2004  mit einem fürstlichen 136-Millionen-Dollar-Vertrag ausstatteten. Denn derzeit spielt dieser Kobe Bryant die beste Saison seiner Karriere. Führt die Liga mit durchschnittlich 35,9 Punkten an. Und trägt seine bestenfalls durchschnittliche Truppe Schritt für Schritt nach oben.

Herzlichen Glückwunsch Kobe! Die „Black Mamba“ wird heute 41 Jahre alt. Foto: (Getty Images)

Kobe ist zurück auf dem Olymp

Ausrufezeichen hat er auf dem Weg dorthin viele gesetzt. Wie Mitte Dezember gegen die völlig überforderten Dallas Mavericks: 62 Punkte! In drei Vierteln! Der beste Wert eines NBA-Akteurs seit elf Jahren. Anfang Januar schenkt er Philadelphia 48 Zähler ein, den Clippers im Stadtderby deren 50 plus Game-Winner und Indiana satte 45 Punkte. Die gleiche Ausbeute wie zuvor gegen Memphis. Macht vier Spiele in Folge mit mindestens 45 Zählern für den Mann mit der Acht auf dem Rücken.

Unglaublich! Das hat noch nicht einmal Michael Jordan geschafft, einzig und allein die Legenden Wilt Chamberlain und Elgin Baylor vollbrachten dieses Kunststück. Allerdings schon vor über 40 Jahren!

Doch für DAS Highlight der 60. NBA-Saison sorgt er am 22. Januar. Gegen Toronto markiert Kobe ­ unglaubliche 81 Punkte! Verbucht damit die zweithöchste Punktausbeute aller Zeiten! Nach  Wilt Chamberlains Rekord für die Ewigkeit (100 Zähler) ist Kobe der erste Akteur, der in einer Partie über 80 Punkte erzielt.

„Kobe trifft Schüsse, die würde ich bei anderen unfassbar nennen“, erklärt Sixers-Coach Maurice Cheeks. „Doch er haut diese Dinger tagtäglich rein. Sie sind bei ihm kein Zufall, sondern die Regel!“ Doch viel wichtiger ist, dass Schütze Bryant regelmäßig auch seine Mitspieler gut in Szene setzt und die Lakers so zu Siegen führt. Also spielerische Genialität UND Leader-Qualitäten zeigt.

Der Mann hat sich entwickelt! 

Wer hätte das gedacht am 20. April 2005! Als Bryant nach dem letzten Spiel der Regular Season mit hängendem Kopf aus dem Rose Garden in Portland schlurft. Und feststeht, dass zum fünften Mal seit 1948 die Playoffs ohne die Violett-Gelben stattfinden. Erstmals in seiner neunjährigen NBA-Laufbahn heißt es: „No postseason for Kobe!“ Sein sportlicher Tiefpunkt. „Dies ist die bitterste Erfahrung, die ich je in dieser Liga gemacht habe!“, sagt Kobe später.

Die Vorhersagen der Kritiker sind wahr geworden: Die Lakers am Boden! Und mit ihnen Shooting Guard Bryant. Der Schuldige! Unzählige Male geschlagen, gedemütigt und besiegt. Die fünftschlechteste Saisonbilanz der Vereinsgeschichte  (34:48 Siege) sagt alles. Sogar die als notorische Verlierer verschrienen L.A. Clippers sind besser als diese Lakers ohne Shaquille O’Neal. Das Urteil ist damit gesprochen: Kobe Bryant ist ein schussgeiler Egozocker, der kein Team zum Erfolg führen kann!

Doch dann beginnt ein Licht zu leuchten am Ende des Tunnels, weil Kobe Bryant plötzlich Einsicht zeigt. „Ich wollte unbedingt der Teamleader sein“, erklärt „KB8“ in BASKET 6/2005. „Doch ich muss zugeben, dass ich mich manchmal schwer tue. Ich werde in der Offseason härter als jemals zuvor an mir arbeiten.“

Und tatsächlich präsentiert sich Kobe in dieser Saison als wahrer Leader. Er gibt sich im Kreis der Mannschaft nicht mehr so zurückgezogen und kümmert sich sogar abseits des Courts um seine Mitspieler. Auf dem Parkett übernimmt er so viel Verantwortung wie noch nie, passt, verteidigt, kämpft, tut also all das, was das Team braucht, um zu siegen. Dazu das unglaubliche Scoring!

„Der Unterschied ist, dass Kobe sich jetzt mit seinem unfassbaren Ehrgeiz quasi zum Sieg zwingt. Sein Wille, unbedingt gewinnen zu wollen, ist einfach stärker als der des Gegners“, erklärt Teamkollege Lamar Odom. „Und das treibt uns natürlich auch an und pusht uns unheimlich.“ 

Dadurch fällt die Bilanz der ersten Saisonhälfte mit 21:17 Siegen zwar nicht überragend, gemessen am Potenzial der Lakers jedoch überraschend gut aus. Obwohl Kobes Supporting Cast auch in diesem Jahr keineswegs besser ist als 2004/05.

Auffällig gut tut Kobe der vom „neuen“ Coach Phil Jackson verordnete (zeitweilige) Wechsel vom Guard zum Forward. Dadurch genießt er in der Offense mehr Freiheiten, muss weniger darauf achten, seine Mitspieler mit einzubeziehen und spielt auf einem höheren Level. Seine katastrophale Turnover-Rate des vergangenen Jahres (4,1) ist erheblich besser (2,9), er nimmt weniger Dreier und konzentriert sich wieder mehr auf seine eigentliche Stärke, die Penetration zum Korb. Mit Erfolg. Stolze 10,7 Mal geht Kobe pro Partie zur Freiwurflinie. Nur Sixers-Guard Allen Iverson bekommt mehr Pfiffe. Auch ein Grund, warum er in der ersten Saisonhälfte satte 8,3 Zähler mehr als 2004/05 erzielt.

Noch deutlicher fällt auf: Der 27-Jährige wirkt mittlerweile wesentlich reifer. „Kobe ist heute ein ganz anderer Spieler“, pflichtet Coach Jackson bei. „Viel ruhiger, vorausschauender und abgeklärter.“ Man merkt, dass Bryant sich im Sommer zum ersten Mal (nach drei von Querelen geplagten Jahren) wieder voll und ganz auf den Sport konzentrieren konnte. Und so intensiv schon lange nicht mehr an seinem Game gefeilt hat. „Es tat gut, sich mal wieder nur dem Sport widmen zu können“, hatte Kobe schon zu Beginn des Trainingscamps auf Hawaii erklärt. „Das hat mir die Kraft ­gegeben, so hart wie noch nie an meinem Spiel zu arbeiten!“ 

Doch der Hauptgrund für den überraschenden Erfolg der Lakers ist das ebenso unerwartet gute Verhältnis zu Phil Jackson. Statt Rosenkrieg herrscht Harmonie am Sunset Boulevard, Kobe hört auf die Ratschläge vom „Zen-Master“ und setzt dessen Vorgaben um, da er begriffen hat, dass „Jax“ sein Schlüssel zum Erfolg ist.

So fällt bei den Lakers immer häufiger ein Wort: ERFOLG! Nach miesem Start (6:9) hat Kobe das Team in den nächsten elf Partien zu neun Siegen geführt, zur Saisonhälfte liegt L.A. für viele Experten überraschend voll auf Playoff-Kurs. Sollte das auch am Ende der Regular Season der Fall sein, wäre Kobe Bryant endgültig zurück auf dem Olymp der NBA, ja wäre schon fast mit einem Bein in der Hall of Fame. Denn dann hätte er es geschafft, einer mittelmäßigen Truppe das Winner-Gen zu geben. Und das ist schon bei einem Kollegen namens Michael Jordan der Anfang einer unvergesslichen Ära gewesen!

Autor: Timo Böckenhüser