M„Mein Ziel war es, immer besser zu werden“, antwortete Pascal Siakam zuletzt, auf seine extrem eindrucksvolle Saison angesprochen. „Wenn man meine Entwicklung von meiner Freshman-Saison am College bis heute betrachtet, ist die Steigerung einfach nur verrückt. Ich lege größten Wert darauf, mich jedes Jahr weiterzuentwicklen.“ Wer glaubt, dass es sich bei diesen Sätzen um abgedroschene Phrasen handelte, die womöglich seine Chancen auf die Trophäe des „Most Improved Player“ verbessern sollten, der liegt völlig daneben. Denn den Award verdient der Shootingstar der Raptors, der in dieser Spielzeit seinen Punkteschnitt verdoppelt hat und trotz größerer Rolle seine Quoten allesamt verbessern konnte, schon alleine für seine Vita. 

Vom Priesterschüler zum NBA-Profi

Die Biografien afrikanischer NBA-Spieler lesen sich häufig sehr ähnlich. Sowohl bei Hakeem Olajuwon als auch bei Joel Embiid spielte der Basketball ganz lange überhaupt keine Rolle. Während „The Dream“ Fußballtorwart war und erst mit 17 Jahren nach einem beachtlichen Wachstumsschub das orangene Leder für sich entdeckte, nutzte Embiid sein Talent bis zu seinem 15. Lebensjahr ausschließlich, um auf dem Volleyballfeld für Furore zu sorgen. Und auch Pascal Siakam beginnt erst ausgesprochen spät mit dem Basketball. Gerade einmal sechs Jahre ist es her, dass der Mann, der inzwischen seine dritte NBA-Saison für die Kanadier spielt, mit dem organisiertem Vereinsbasketball anfing. „Für jemanden, der nicht im Verein spielte, war ich ganz in Ordnung“ erinnert sich der Kameruner. Man muss sich vor Augen führen, wie sensationell die Entwicklung verlief: In nur drei Jahren brachte es Siakam vom Hobbyspieler zum NBA-Profi! Doch der Reihe nach, denn seine Geschichte ist noch deutlich ungewöhnliche, als die der anderen beiden berühmten afrikanischen Baller. Auch wenn seine drei älteren Brüder allesamt College-Stipendien in den USA annahmen, hat Pascals Vater ausgerechnet für seinen jüngsten Sohn ganz andere Pläne. Der heutige Forward soll kein Sportler werden. Vielmehr sieht das gläubige Familienoberhaupt eine Laufbahn als Geistlicher für seinen Jüngsten vor: Bereits mit elf Jahren meldet ihn der Vater für ein Priesterseminar an. Auch wenn Siakam nur wenig mit der religiösen Ausbildung anfangen kann, zieht er die Sache diszipliniert bis zum Abschluss im Jahr 2012 durch.

Pascal Siakam von den Toronto Raptors erzielt im NBA-Spiel gegen die Washington Wizards per Dunk einen Korb.
In der zweiten November-Woche 2018 wurde Siakam im Osten zum Spieler der Woche ernannt. Foto: getty images

Was dann folgt, ist einfach nur Wahnsinn: Der Ausgangspunkt ist das Trainingscamp von Luc Mbah a Moute, das bereits für Embiid die Weichen gestellt hat. Ohne große Ambitionen besucht der angehende Priester das Camp und fällt den Scouts vor allem aufgrund seines Einsatzes und seiner Athletik auf. Ein sonderlich guter Basketballer ist er nicht! Doch irgendetwas schlummert in ihm und die Scouts beschließen, das extrem rohe Talent für das kommende Jahr erneut einzuladen. Die Leistungssteigerung im Folgejahr ist so enorm, dass er kurz danach an der renommierten „Basketball Without Borders“-Veranstaltung teilnehmen darf. Und seine Performance im Kreise der globalen Nachwuchselite eröffnet ihm auf einen Schlag ganz neue Optionen. Wenig später folgt ein College-Angebot, und so heuert Siakam bei den New Mexico State Aggies an. Zunächst scheint es, als sei die Aufgabe für den Quereinsteiger eine Nummer zu groß. Eine ganze Spielzeit kommt der Youngster nicht zum Einsatz. Siakam arbeitet wie ein Besessener und beweist einmal mehr, dass sein größter Trumpf sein unglaubliches Arbeitsethos ist. Als dann Pascals Vater stirbt, mobilisiert der Neu-Baller all seine Kräfte und setzt fortan alles daran, Profi-Basketballer zu werden. „Pascal hat seine eigene Entwicklung ernster genommen, nachdem sein Vater gestorben war“, berichtet Siakams College-Coach Marvin Menzies. „Er wollte ihn stolz machen.

Als er 2016 an 27. Stelle im NBA-Draft gepickt wird, erfüllt sich sein Traum. Doch für Siakam ist dies kein Grund, sich zurückzulehnen! Monat für Monat verbessert sich der Big Man. Und in dieser Saison, in der er großen Anteil am exzellenten Saisonstart der Raptors hat, explodieren die Leistungen des Spätberufenen dann komplett: Aus 7,3 Zählern werden 14,8, aus 4,5 Rebounds werden 6,4. Und auch an der Freiwurflinie beweist Siakam, dass harte Arbeit sich auszahlt. Um grandiose 15,3 Prozentpunkte (von 62,1 FG % auf 77,4 FG %) verbessert der Power Forward seine Quote vom „Charity Stripe“. 

Seine Defense lässt Gegenspieler verzweifeln

Gerade seine Vielseitigkeit macht ihn für Coach Nick Nurse so extrem wertvoll: Was auch immer verlangt wird – egal ob Scoring, Rebounding oder Defense – die Allzweckwaffe liefert ab und geht damit als Vorbild voran. Bei den Zweipunktwürfen belegt Siakam, obwohl er kein reiner Zonenspieler ist, mit einer Wurfquote von 67,8 Prozent ligaweit den zweiten Platz hinter Rudy Gobert. In der „Restricted Area“ trifft er gar an die 80 Prozent. Und selbst seine größte Schwachstelle, der Dreier, fällt mit 34,6 Prozent inzwischen einigermaßen passabel aus. Unter dem Strich kann Siakam inzwischen als „Two-Way-Player“ bezeichnet werden. In der Defense ist der 25-Jährige unermüdlich und treibt seine Gegenspieler mit seiner Hartnäckigkeit zur Verzweiflung. In einer NBA, in der immer weniger Wert auf gute Verteidigung gelegt wird, sind die Raptors eine wahre Freude und eine Defense aus Kawhi Leonard, Danny Green, O.G. Anunoby und eben Siakam für jedes Team eine harte Nuss. Sein Ex-Coach Dwane Casey adelte ihn einst mit einem ganz besonderen Kompliment: „Pascal hat den besten Motor, den ich je gesehen habe.“ Gut möglich, dass die große Leistungssteigerung ihm den „MIP“-Award einbringen wird. Eine Auszeichnung, die kaum einen würdigeren Vertreter haben könnte als den „Beinahe-Priester“.