Emanuel Ginobili hat sich als „No Name“ zu einem der besten internationalen Basketballer aller Zeiten entwickelt. Der Argentinier verhalf den San Antonio Spurs dabei nicht nur zu vier NBA-Titeln, sondern prägte die Kultur der Franchise entscheidend mit. Nun beendet der künftige Hall of Famer mit 41 Jahren seine großartige Laufbahn. 

Manu

Foto: Getty Images

57 – Diese Nummer wird für ewig mit der Karriere von Emanuel David­ Ginobili Maccari verbunden sein. Denn an der 57. und damit vorletzten Position wird der Argentinier bei der NBA-Draft 1999 im MCI Center in Washington ausgewählt. Die San Antonio Spurs sichern sich die Rechte an dem in Italien aktiven und damit weitestgehend unbekannten Shooting Guard, der gerade das 22. Lebensjahr erreicht hat. Es ist zwar nicht die Liebe auf dem ersten Blick, denn die Franchise aus Texas bevorzugt mit ihrem 29. Pick zunächst Leon Smith, doch aus der ersten Begegnung mit „Manu“, wie er nur kurz genannt wird, wird sich eine Ehe auf Lebzeiten entwickeln. Denn heute, 19 Jahre und damit fast zwei Jahrzehnte später, ist Emanuel Ginobili eine lebende Legende des Clubs. Bei vier der fünf Titelgewinne in der Geschichte der San Antonio Spurs (2003, 2005, 2007 und 2014) war der 1,98 Meter große Linkshänder mit an Bord – nur ein gewisser Tim Duncan stand auch beim fünften Triumph der Franchise (1999) im Aufgebot. Dabei ist er zu einem Inbegriff des Clubs geworden, hat dessen Kultur in den letzten 15 Jahren entscheidend geprägt und gilt als zukünftiger Hall of Famer. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass ein nahezu unbekannter Argentinier, ein 57. Pick (!), einen­ solchen Legendenstatus erlangt?

Basketball in der Wiege, Jordan an der Wand

Rückblick: Emanuel Ginobili ist die Sorte von Profisportler, die sozusagen in der Wiege liegend mit dem Spielgerät der Zukunft aufwachsen. In seinem Fall ist der Körper von Geburt an mit dem Basketballvirus infiziert. So unternimmt der „Mini-Gaucho“ im Alter von drei Jahren seine ersten Dribbling-Versuche mit dem Spalding. Ein wachsames Auge auf ihn haben dabei stets sein Vater Jorge sowie seine beiden älteren Brüder Leandro und Sebastian. Der Vater ist als Basketball-Trainer des örtlichen Clubs Bahiense del Norte tätig, die beiden Brüder bilden das Top-Duo der Mannschaft. „Manu“ wächst also in den nach strengem Schweiß riechenden und stets aufgeheizten Sporthallen Bahia Blancas auf und saugt am Rande des Trainings und der Spiele sämtliche Tipps von Spielern und Trainern auf. Und davon gibt es viele. Denn in der Hafenstadt, die circa drei bis vier Autostunden von der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires entfernt liegt, dominiert, anders als im Rest des Landes, Basketball statt Fußball das Geschehen. Während in den 80er-Jahren gefühlt ganz Argentinien sein großes Fußballidol Diego Maradona vergöttert und 1986 dank ihm zum zweiten Mal die Weltmeisterschaft feiert, fiebern die Ginobilis an ihrem heimischen TV-Gerät mit einem ganz anderen Sportler: Michael Jordan.

Manu

Foto: Getty Images

„Manu“ lässt sich von der spektakulären Spielweise des Modellathleten inspirieren, wenngleich ihm in seiner nächsten Lebensphase als Teenager selbst die notwendige Durchschlagskraft fehlt. Ebenso wie seine beiden Brüder ist der jüngste Sohn der Ginobilis ein Spätzünder, der lange Zeit zu klein und zu schmächtig ist, um auf den argentinischen Courts für Aufsehen zu sorgen. Sein Jugendfreund Pepe Sanchez übernimmt diese Aufgabe, zieht das Interesse der Scouts auf sich und spielt später an der Temple University in den Vereinigten Staaten. „Manu“ fliegt dagegen unter dem Radar. Ihm bleibt nur der tägliche Blick auf eine akrobatische Flugeinlage seines Idols Michael Jordan, der als Poster an der Wand seines Kinderzimmers hängt. Es ist ein groteskes Bild, das durch eine späte Fügung aber neue Farbe bekommen soll.

Über Bahia Blanca und Bologna in die NBA

Im Alter von 16 Jahren macht Ginobilis Körper plötzlich einen Sprung. Satte 25 Zentimeter schießt „Manu“ innerhalb von nur zwei Jahren in die Höhe. Der Slam-Dunk ist nun nicht länger nur ein Traum, den er beim Anblick seines Jordan-Posters visualisiert, sondern wird auf dem Court endlich Realität. Mehr oder weniger aus dem Nichts schafft der „neue“ Ginobili 1996 den Sprung zum argentinischen Erstligisten Estudiantes de Bahia Blanca und führt das Team bereits in seinem zweiten Jahr bei den Punkten an. Sein nationaler Durchbruch weckt wie einst bei seinem Kumpel Pepe nun auch internationale Begehrlichkeiten, wenngleich „Manu“ nicht den Weg an ein US-College wählt, sondern den Sprung über den großen Atlantik nach Europa wagt. In Italien unterschreibt er zunächst beim Zweitligisten Viola Reggio Calabria und wechselt nach zwei Spielzeiten als 21-Jähriger zum Erstligaprimus Virtus Bologna. Sein Coach ist dort der ehemalige (1993–1997) und jetzige Nationaltrainer Italiens (seit 2015), Ettore Messina, der seit 2014 gleichzeitig bei den San Antonio Spurs als Assistenztrainer beschäftigt ist. „Manu war ein unglaublicher Athlet. Ein Spieler, der überall durch die Lüfte sprang und flog und unglaubliche Plays machte“, erinnert sich Messina an die gemeinsame Zeit in Bologna.

Manu

Foto: Getty Images

Mit seinem stilvollen und spektakulären Spielstil hebt sich Ginobili schnell von der eher statischen europäischen Spielweise ab und avanciert zweimal in Serie zum Liga-MVP (2001 und 2002). „Er hat einfach wie vom anderen Stern gespielt“, sagt Messina, der 2001 gemeinsam mit seinem Schützling das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Euroleague gewinnt. Auf Ginobili wird, noch vor seinen Heldentaten in Bologna, aber noch ein weiterer Mann aufmerksam: R.C. Buford, GM der San Antonio Spurs, entdeckt ihn 1997 bei der U22-WM und ist nicht nur von seinen Scorer-Qualitäten, sondern vor allem von seiner­ Selbstlosigkeit und Willensstärke beeindruckt. Die Spurs wollen sich dieses Potenzial warmhalten, sichern sich am bereits erwähnten Draft-Abend an 57. Position die Rechte an dem Argentinier. Was das für Folgen haben wird, weiß dann drei Jahre später Bologna-Coach Messina: „Spätestens bei der WM 2002 in den USA, wo Argentinien sensationell Zweiter wurde, hat die ganze Welt sein Potenzial gesehen. Ich saß damals mit einem amerikanischen Reporter zusammen und sagte ihm: ‚Manu‘ wird die Kultur der Spurs verändern, er wird an der Seite von Tim Duncan ein Feuer entzünden.“