In den ersten Jahren lebt er bei Gastfamilien, doch viel zu Hause ist er nicht. Meist bis tief in die Nacht ist Ayton in der Trainingshalle, arbeitet an seinem Spiel. Der Grund: Er will endlich von seinen Mitspielern respektiert werden. Denn sein Skill-Set ist roh, das sieht jeder. Andere Spieler nennen ihn „TFN“, eine Abkürzung für „Tall for Nothing“. Groß, aber sonst nichts. „Sie haben sich oft über mich lustig gemacht und ich habe viel geweint. Ich wusste nicht, dass es so hart werden würde, gut im Basketball zu werden“, erzählt er heute. Doch DeAndre ist zu allem bereit, feilt an seinen Moves, seinen Handles, an seinem kompletten Game. Etwas zu antworten, das traut sich der junge Mann von den Bahamas nicht. Seine Stimme ist tief, sein Akzent mehr als deutlich. Spätestens das hätte die „Kollegen“ wohl zu noch mehr Spott veranlasst. Doch Ayton gibt die Antwort auf dem Court. Er verbessert sich so schnell, dass er in der achten Klasse zum besten Spieler des Landes in seinem Jahrgang gewählt wird – ein unglaublicher Aufstieg. Seitdem ist sein Leben durchgeplant: „Ich denke, dass ich gar keine Kindheit hatte. Von meiner Geburt bis zu meinem Geburtstag – okay. Aber seit ich die Bahamas verlassen habe, war das vorbei. Von da an ging es nur noch ums Business. Ich bin auf einer Mission. Und so war es schon immer.“

Ayton

DeAndre Ayton (Foto: Getty Images).

Doch die Mission wird schon bald auf eine schwere Probe gestellt, als DeAndre nach zwei Jahren doch das Heimweh packt. Fast 4.000 Kilometer liegen zwischen ihm und seiner Familie, doch DeAndre entscheidet sich gegen eine Rückkehr. „Nach allem, was meine Eltern für uns geopfert hatten, wollte ich nicht derjenige sein, der es vermasselt. Ich wollte diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen.“ Stattdessen zieht Mutter Andrea in die USA, sie lässt sich in der Nähe von Phoenix nieder. Ayton wechselt deshalb die High School, geht fortan für die Hillcrest Prep Academy auf Korbjagd. Als Junior legt er 29,2 PPS, 16,7 REB und 3,8 BL auf, die Zahlen als Senior sind ähnlich. 2017 wird Ayton zum Top-Spieler der „Recruiting Class“, also den Spielern, die von der High School auf die Colleges gehen. Auf welche Top-Uni er gehen möchte, kann sich der 113 Kilo schwere Rechtshänder aussuchen – mit Arizona, Kansas und Kentucky haben drei der besten Programme des Landes ihre Angebote auf den Tisch gelegt. Und das, obwohl Ayton – nach eigener Aussage – sein Potenzial gar nicht abgerufen hatte. „Ich würde nicht sagen, dass mich das High-School-Spiel gelangweilt hat. Aber ich habe einfach nur versucht, an ein College zu kommen.“

Sportlicher Prototyp

Die Wahl fällt auf Arizona. Die Entscheidung sollte in den USA noch ein Fall für das FBI werden. Die US-Ermittlungsbehörde wertete im Februar nämlich Gespräche aus dem Jahr 2016 zwischen Arizona-Headcoach Sean Miller und Christian Dawkins aus, einer Schlüsselfigur im NCAA-Korruptions-Skandal, der die College-Liga 2018 erschüttert hat. Angeblicher Inhalt: eine Zahlung von 100.000 US-Dollar an Ayton, damit dieser sich für Arizona entscheidet. In anderen Sportarten völlig normal, im College-Basketball streng verboten! Doch Ayton verteidigt sich, seine Entscheidung habe nur damit zu tun gehabt, weiter nah bei seiner Familie sein zu können.

Sportlich ist er auf dem College über jeden Zweifel erhaben. In den ersten zwei Monaten legt er gut zwölf Kilo Muskelmasse zu und reduziert sein Körperfett von 13 auf sieben Prozent – ein weiterer Aspekt, der ihn zum Albtraum für seine Gegenspieler macht. „Er hat eine Power, die ist übernatürlich“, sagt Sean Miller über ihn. „Auch seine Beweglichkeit ist unglaublich. Einen Spielertyp wie DeAndre hat die NBA noch nicht gesehen.“ Seine Freshman-Stats: 20,1 PPS, 11,6 REB, 1,9 BL, 61,2 Prozent aus dem Feld. Dazu stellte Ayton unzählige Freshman-Rekorde auf, unter anderem meiste Punkte (704), meiste Rebounds (405), meiste Double-Doubles (24), meiste 20-Punkte-Spiele (17).

Doch Aytons Spiel macht mehr aus, als die blanken Zahlen. Er verbindet die Power eines jungen Dwight Howard mit der Fußarbeit eines Guards, das macht ihn gerade in der Defense extrem wertvoll. In der Nähe des Korbes ist er fast nicht zu stoppen (83,3 Prozent), dazu sind seine Handles so gut, dass er Fastbreaks laufen oder sogar aus dem Dribbling kreieren kann – ein Matchup-Albtraum! Das haben auch die NBA-Scouts erkannt. Doch der Weg von DeAndre Ayton geht noch weiter. Der nächste Schritt sieht vor, die ganze Welt wissen zu lassen, was aus dem Kind von den Bahamas geworden ist – ein potenzieller Superstar.

Thomas Werner (erschienen in der BASKET 7-8/2018)