Als Michael Jordan 1993, nachdem sein Vater ermordet worden ist, der NBA den Rücken kehrt, um fortan Baseball-Profi zu sein, gilt er bereits völlig unumstritten als bester Basketballer der Welt. Doch erst durch seine Rückkehr und den erneuten „Three-Peat“ unterstreicht MJ seinen Ruf als „The Greatest of all Time“.

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Michael Jordan gilt heute als der größte Basketballer aller Zeiten (Foto: Getty Images)

Denk daran, dein Fuß geht in diese Richtung“, ermahnt Batting-Coach Walt Hriniak seinen Schützling und demonstriert den Ausfallschritt. „Das ist die natürliche Gehbewegung und sollte auf keinen Fall passieren. Wenn deine Augen dem Schritt folgen, bist du beim Wurf geliefert.“ Michael Jordan hängt an den Lippen des erfahrenen Baseball-Coaches wie ein kleiner Junge. Nachdenklich sortiert MJ seine Füße im Staub und versucht sich an alles zu erinnern, was ihm gerade gesagt wurde. „Zwei Sachen: Triff den Ball optimal und pass auf deine Augen auf. Denk dran!“ Hriniak wirft und Jordan trifft. „Yes“, freut er sich und klingt dabei ein wenig unsicher. „War der perfekt?“, fragt er. „Nein, aber dein bester heute“, antwortet Jordans Trainer, der für das Hantieren mit Zuckerbrot und Peitsche bekannt ist. „Hör gut zu. Ich erkläre dir den Schlag noch mal, danach wiederholst du alles mit eigenen Worten.“ Jordan lauscht mit gerunzelter Stirn und versucht seinem Lehrmeister die richtige Antwort zu geben. Er muss das nicht tun, genauer gesagt, muss er nicht einmal hier sein, vor allem nicht im Morgengrauen. Es hätten sich unzählige bessere Möglichkeiten für ihn geboten. Er hätte mit all den Millionen, die er in der NBA verdiente, durch die Welt reisen können. Stattdessen arbeitet Jordan seit seinem Rücktritt aus der besten Basketball-Liga der Welt an einer Profi-Karriere als Baseballer. Ganz so, wie es sein wenige Monate zuvor ermordeter Vater James immer gewollt hatte.

Mit jeder Menge harter Arbeit kämpft er für die Realisierung dieses Traums. Ein Jahr lang spielt der Novize für das Farm-Team in der Minor League. Die sonst so leeren Stadien der unterklassigen Liga sind nun stets ausverkauft. Warum? Wegen dem größten Sportler der Welt, der sich zwar – aus der Perspektive der Fans – auf Abwegen befindet, aber nichtsdestotrotz noch immer „His Airness“ ist. In nahezu jeder Tageszeitung der USA gibt es während Jordans Baseball-Intermezzo einen kleinen Kasten im Sportteil, der täglich über dessen Stats informiert. Unglaublich, wenn man sich vor Augen führt, wie irrelevant die Performances Jordans aus sportlicher Sicht sind. Nach fast einem Jahr in der Minor League steht Jordan bei den White Sox tatsächlich vor dem Sprung ins Roster. Ein Lockout lässt die ersehnte Tür zur MLB jedoch wieder zufallen, denn Teilnahme am Trainingscamp ist lediglich für bereits verpflichtete Spieler gestattet – ein Kriterium, das Jordan, trotz seiner harten Arbeit nicht erfüllen kann. In der Folge suchte der zu diesem Zeitpunkt bereits 30-Jährige nach einer neuen sportlichen Herausforderung.

Jordan bringt mit drei Worten die Welt zum Beben

Am 18. März 1995 erfährt die Sportwelt, wie diese aussieht. Er tritt vor die Presse und bringt mit nur drei einfachen Worten die Welt zum Beben: „I‘m back.“ An diesem Tag wird klar, was sich in den knapp zwei Wochen hinter den Kulissen abgespielt hat: Michael Jordan, ein nationales Heiligtum, eine lebende Legende und der bereits zu diesem Zeitpunkt unumstritten größte Basketballer der Geschichte, bestätigte auf einer Pressekonferenz seine Rückkehr zu den Chicago Bulls. Rund eineinhalb Jahre zuvor, am 6. Oktober 1993, hatte sich MJ entschieden, der NBA und dem Basketball den Rücken zu kehren. Doch nun war er zurück. Aus zunächst sporadischen Besuchen des Bulls-Trainingscenters war tatsächlich das geworden, wovon Bulls-Coach Phil Jackson seit Jordans Abschied fast täglich geträumt hatte. „Ich habe es gehofft“, offenbarte der „Zen-Meister“ einmal rückblickend seine Gefühlslage in den Tagen vor der Verkündung von Jordans legendärem Comeback. „Daran geglaubt, dass es Wirklichkeit werden könne, habe ich aber nie. Auch nicht als Mike bei seinem Rücktritt 1993 zu mir sagte ‚Sag niemals nie‘.“ Spätestens als sich MJs Besuche in der Trainingshalle der Bulls häuften, dämmerte seinem alten Weggefährten und Kumpel Scottie Pippen, dass etwas im Busch ist: „Er hat sich mir nicht anvertraut, aber ich kenne Michael so lange und gut, dass ich nicht lange brauchte, um zu erkennen, wie ernst es ihm mit der Rückkehr ist“. Jordan brauchte die Bulls, aber die Bulls brauchten ihren einstigen Franchise-Players und MVP ebenso dringend. Mit einer Bilanz von 34:31 standen die Bulls in der Saison 1994/95 für ihre Verhältnisse miserabel da und hatten den Status eines Contenders längst verloren.

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Der damalige NBA-Commissioner David Stern übergibt Jordan seine fümfte MVP-Trophäe. Eine weitere sollte noch folgen (Foto: Getty Images)

Doch so sehr die Fans in Ekstase verfielen und die Mitspieler wieder Hoffnung schöpften, viele NBA-Experten meldeten Zweifel an und sahen Jordans Comeback durchaus skeptisch: Nach knapp 13-monatiger Basketball-Pause und dem unmenschlichen Druck, der auf den Schultern des Heilsbringer lastete, war fraglich, ob „Air“ Jordan jemals wieder so herausragend und dominant spielen würde, wie vor seinem Abschied. Nicht wenige prophezeiten, dass Jordan lediglich sein eigenes Denkmal beschmutzen wird. Völlig abwegig waren diese Bedenken nicht: Der No.-3-Pick von 1984 hatte zuvor seine ganze Physis an den Baseball angepasst. Besonders am Oberkörper machte sich das harte Training mit Hriniak bemerkbar, denn der einst eher sehnige Superstar hatte deutlich an Muskelmasse zugelegt. Um sich bei seinem Comeback in Topform zu präsentieren, schuftete er wie ein Besessener: Morgens arbeitete er zu Hause mit Fitness-Coach Tim Grover an Kraft und Kondition. Mittags ging es zum Teamtraining, um an der Abstimmung mit den Teamkollegen zu feilen. Die bloße Präsenz der Basketball-Legende machte sich unmittelbar bemerkbar: Die Trainingseinheiten wurden „härter, kämpferischer und gehen auch länger“, verriet der damalige Bulls-Center Luc Longley. Doch im Anschluss war das Tagwerk noch nicht getan. Jordan legte zusätzlich lange und schweißtreibende individuelle Extraschichten ein.

Statement im Madison Square Garden

Am 19. März 1995, also einen Tag nach der Pressekonferenz, die Sportgeschichte schrieb, war es so weit – Jordan gab sein Comeback. Der berühmte Shooting Guard lief, wie zuvor beim Baseball, mit der Nummer 45 anstelle der weltberühmten 23 auf. Es ist unmöglich die Stimmung, die beim Einlauf des „GOATs“ herrschte, in Worte zu fassen. Ekstase, nie dagewesener Jubel, sind plumpe Beschreibungen für die Eruption der Freude, die sich an jenem Frühlingstag in Chicago entlädt. Jordan spielte immerhin 43 Minuten, erzielte gegen Reggie Miller und die Indiana Pacers bei der 96:103-Niederlage nach Verlängerung jedoch „nur“ 19 Punkte (7/28 FG, 25,0%). Doch dies war für den Moment zweitrangig. Alles was zählte, war, dass der Held von Millionen von Sportfans zurück war: „Ich habe das Spiel wirklich vermisst“, sagte er anschließend sichtlich gerührt. In den darauffolgenden Spielen legte Jordan 27, 21 und 32 Zähler auf, was die Kritiker allmählich verstummen ließ. Die Fans waren erleichtert, doch ob „His Airness“ noch immer so gut war wie vor seinem Rücktritt, war nicht endgültig beantwortet. Doch die Antwort lieferte der Mann selbst, über den der große Larry Bird einst nach dessen 63-Punkte in den Playoffs 1986 sagte: „Das war Gott, verkleidet als Michael Jordan.“ Wenige Tage später im Mekka des Basketballs, dem Madison Square Garden: Die defensivstarken Knicks hatten sich in den Jahren zuvor zum Erzrivalen der Bulls entwickelt und Jordan musste sich nun auf der ganz großen Bühne beweisen. Insgesamt sieben verschiedene Gegenspieler (u.a. John Starks und Derek Harper) versuchten an diesem denkwürdigen Abend den Rückkehrer zu stoppen, doch keiner von ihnen war in der Lage, das unbeschreibliche Talent Jordans in die Schranken zu weisen. Das zurückgekehrte Basketball-Genie dominierte wie zu seinen besten Zeiten. Seine Effizienz war an diesem Abend in New York schlicht und einfach atemberaubend. Nach der Partie zeigte die Anzeigentafel der altehrwürdigen Halle unglaubliche 55 Punkte für MJ. Zusätzlich gab der berühmte Guard den Assist zum entscheidenden Korb, der seinem Team den 113:111-Auswärtssieg bescherte. Seit diesem Tag kam nie wieder irgendjemand auf die Idee, den besten Baller der Geschichte in Frage zu stellen.

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Nach seinem Comebach trug MJ die Nummer 45. Diese hatte er bereits als Kind beim Baseball bevorzugt (Foto: Getty Images).

Jordan erreicht ein neues Level

Auch dann nicht, als die Bulls in den Conference Semi-Finals gegen Shaquille O‘Neal und die Magic mit 2:4 in den Playoffs 1995 ausschieden. Denn schon im nächsten Jahr, dieses Mal hat Jordan die gesamte Vorbereitung mitgemacht, waren die Bulls und ebenso ihr berühmter Anführer wieder in Bestform. Und mehr noch! Mit einer nie dagewesenen 72:10-Bilanz spielte die Franchise aus der „Windy City“ die beste Regular Season der NBA-Geschichte (die erst 2015/16 von den Warriors übertroffen wird). „His Airness“ wird mit 30,4 PPS, 6,6 REB, 4,3 AS und 2,2 ST zum vierten Mal zum „Most Valuable Player“ ernannt und gewinnt mit Chicago die vierte Meisterschaft seiner großartigen Karriere. Doch dies war bekanntlich nur der Anfang. Auch in den darauffolgenden beiden Jahren spielten die Bulls Basketball vom anderen Stern und sorgten dafür, dass der NBA-Champion jeweils aus der Metropole des Bundesstaates Illinois kam. Der zweite „Three-Peat“, mit Scottie Pippen und Dennis Rodman an MJs Seite, sorgten dafür, dass Michael Jeffrey Jordan, der am 17. Februar 1963 in Brooklyn, New York das Licht der Welt erblickte, seine ohnehin unerreichte Reputation nochmals steigerte. Er war nicht länger „nur“ der beste Basketballer aller Zeiten, wie nach dem ersten „Three-Peat“. Sondern er war nun, wie Bird über ein Jahrzehnt zuvor bereits prophezeite, die fleischgewordene Gottheit, die jedem Superlativ gerecht werden kann: Sechs NBA-Finals, sechs Meisterschaften, sechs Final-MVPs. Reine Perfektion, die es so wohl nie wieder geben wird.

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Die Gesichter des zweiten Bulls-„Threepeats“: Michael Jordan, Scottie Pippen und Dennis Rodman (Foto: Getty Images).