Empören? Akzeptieren!

„Wie kann sowas nur erlaubt sein?“, „Ich bin fertig mit der NBA“, „Was für ein Verräter“ – dieselben Reaktionen, die vor zwei Sommern einem gewissen Kevin Durant entgegenschlugen, muss dieser Tage auch DeMarcus Cousins über sich ergehen lassen. Der vierfache All-Star und spielerisch beste Center der NBA tut es dem mittlerweile zweifachen Finals-MVP gleich und wechselt in die Bay Area, zu Meister Golden State. Einem Team, das auf dem Papier nun eigentlich keine Schwäche mehr hat – und uneigentlich auch nicht.

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Cousins, der kommende Spielzeit eigentlich um die 30 Millionen Dollar verdienen könnte, für ein im NBA-Kosmos fast schon lächerliches Gehalt von 5,2 Millionen Dollar in Golden State unterschrieb? Die Antwort ist vor allem Cousins‘ gesundheitliche Situation. Er laboriert aktuell noch immer an einem Riss der Achillessehne, dieselbe Verletzung, die auch einen gewissen Kobe Bryant in seinen letzten beiden Profi-Saisons nicht mehr den Alten werden ließ. Wie und wann der Big Man von dieser Verletzung zurückkommt, ist aktuell noch unklar – und genau darin liegt der Grund für DeMarcus‘ Wechsel nach Oakland.

Cousins

Beim All-Star-Game verstand sich DeMarcus Cousins schon ganz gut mit seinen neuen Mitspielern Draymond Green und Steph Curry (Foto: Getty Images)

Denn hätte er für viel Geld über mehrere Jahre bei einem anderen Club unterschrieben, der, nun ja, nicht die Warriors ist – man hätte dort wohl jeden Tag sehnsüchtig auf seine Genesung gewartet, ihn vielleicht zu früh wieder aufs Parkett gejagt und seine Karriere in Gefahr gebracht. In Golden State, so wahnwitzig das klingt, hat er, der vergangene Saison bis zu seiner Verletzung im Schnitt 25 Punkte und 13 Rebounds auflegte, überhaupt keinen Druck. Dort läuft eine eingeölte Maschine auf Hochtouren, die ihn schlichtweg nicht zwingend braucht, um den Titel zu gewinnen – ja, so gut sind die Warriors.

Also dürfte sich Cousins, gerade aus einem Max-Deal kommend, gedacht haben: Warum nicht für eine Saison (länger hat er vorerst nicht unterschrieben) zum Champion wechseln, dort in aller Ruhe gesund werden, zu den großen Spielen im April fit sein und höchstwahrscheinlich auch noch einen Ring abstauben? Cousins, der in Sacramento fast seine gesamte Karriere durchweg verloren hat und dies trotz Anthony Davis in New Orleans wohl weiterhin getan hätte, kann man seinen Wechsel, so weh es aus neutraler Sicht tut, nicht übel nehmen.

Die Uhren ticken mittlerweile anders

Denn er zeigt auch: In der NBA ticken die Uhren mittlerweile etwas anders. Ging es früher für jeden Spieler darum, das maximale Gehalt einzustreichen, ist inzwischen das Gewinnen wichtiger – und was die meisten Spieler immer als leere Worthülsen dahinsagen, ist in Golden State fleischgewordenen Realität. Dort hat Kevin Durant auf Geld verzichtet, Klay Thompson und Draymond Green werden das wohl in den nächsten Sommern ebenfalls tun. Und wenn mit „KD“ der zweitbeste Spieler der Welt Gehaltseinbußen in Kauf nimmt, weil es ihn zum ersehnten Ring führt, ist logisch, dass dem Beispiel auch andere Stars folgen werden.

Das sorgt aus neutraler Sicht natürlich erst mal für Empörung. Man wünscht sich die Zeiten zurück, in denen sich Starspieler lieber sportlich bekämpft haben, als gemeinsame Sache zu machen. Als es ausgeglichener war, es mehr als nur einen Titelfavoriten gab. Und ein, zwei All-Stars im Team, in Ordnung – aber fünf? Das potenzielle Line-Up aus Curry, Thompson, Durant, Green und Cousins liest sich tatsächlich so, als hätte es All-Star Kapitän Curry beim Fantasy Draft des All-Star-Weekends zusammengestellt.

Doch bevor jetzt die 29 anderen Teams in Sachen Titelkampf schon Monate vor Saisonstart das weiße Handtuch werfen, sei daran erinnert, dass die Warriors auch vor der vergangenen Saison als unschlagbar galten, dann jedoch in den Playoffs gegen Houston bis zur allerletzten Sekunde ums Weiterkommen zittern mussten. Der Westen wird immer stärker, die Lakers kommen zurück und auch im Osten deuten Philadelphia und Boston an, dass sie in naher Zukunft zu echten Herausforderern aufsteigen können. Zudem ist noch nicht klar, in welcher Verfassung Cousins zurückkehren wird, und ob er überhaupt in das Small-Ball-Lineup passt, mit dem die Warriors sämtliche ihrer drei Titel geholt haben.

Denn so gut Cousins auch ist, er hat in der Vergangenheit auch immer gezeigt, dass er ein durchaus schwieriger Charakter sein kann. Es wird spannend zu sehen sein, wie er sich bei seiner Rückkehr voraussichtlich im Dezember oder Januar in das Team integriert, ob er auch damit leben kann, je nach Gesundheitszustand vielleicht die fünfte Geige zu spielen. Und der Sommer ist noch lang, trade-willige All-Stars (Hallo, Kawhi!) noch auf dem Markt. Man kann über den Wechsel von DeMarcus Cousins aus emotionaler Sicht empört sein – muss es aber akzeptieren. Weil die Uhren in der NBA mittlerweile etwas anders ticken.

Ein Kommentar von Mick Oberbusch