Chris Bosh hat seit Februar 2016 nicht mehr auf dem Court gestanden, und die Stimmen werden lauter, die meinen, dass er dorthin auch nie mehr zurückkehren wird. Doch das Mitglied der ehemaligen „Big Three“ will davon- nicht nur nichts wissen, sondern hätte sich gar dazu imstande gesehen-, in den diesjährigen Playoffs mitzuspielen.

Chris Bosh feuert seine Teamkollegen der Miami Heat während eines NBA-Spiels an.

Chris Bosh bangt um seine Karriere.
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Chris Bosh leidet in diesen Tagen. Dies ist kein neues­ Gefühl für den Power Forward der Miami Heat. Er kennt dieses Gefühl bereits aus der vergangenen Saison, die Bosh frühzeitig beenden musste. Es blieb damals­ wie heute nur das Zusehen. In feinem, leicht extravagantem Zwirn muss der zweimalige NBA-Champion, die besondere Playoff-Atmosphäre aufsaugend, erneut am Spielfeldrand sitzen. Wie gerne wäre er dabei, wie gerne würde er dem Team helfen! Wie in Spiel zwei der Eastern-Conference-Semifinals zum Beispiel gegen seine alte Liebe­, die Toronto Raptors. Doch er muss als passiver Zuschauer die Overtime-Niederlage mit ansehen.

Die Diagnose
„Ich fühle mit ihm, und das hat zur Folge, dass ich mein eigene Gesundheit nicht als Selbstverständlichkeit empfinde. Es ist hart, wenn ich zusehen muss, wie einer meiner besten Freunde nicht mit uns auf dem Court stehen kann“, sagt Dwyane Wade, nach einer Trainingseinheit auf seinen spielunfähigen Buddy angesprochen.

Doch es ist mehr als die übliche Krankengeschichte, wie sie eben zum Leistungssport gehört. Nein, Bosh hat keinen verstauchten Knöchel oder gebrochenen Finger. Beim 4. Pick von 2003 wurde nach dem All-Star-Game 2015 ein Blutgerinnsel in der Lunge festgestellt. Dass Heat-Coach Erik Spoel­stra anschließend verkünden muss, es habe nie Lebensgefahr bestanden, verdeutlicht trotz der positiven Nachricht die Tragweite des medizinischen Befundes.

In der Saison 2015/16 kehrt Bosh in das Line-up der Franchise aus Florida zurück. Mit 19,1 PPS 7,4 REB und 2,4 AS legt er bes­sere Zahlen auf als in der „Big-Three-Ära“ und nimmt so viele Würfe wie zu seinen besten Raptors-Tagen. Doch dann im Februar steht der elfmalige All-Star plötzlich wieder auf der offiziellen Verletztenliste der NBA und zwar mit dem Verweis „out indefinitely“ (dt. „fehlt auf unbe­stimmte Zeit“). Anschließend ist die genaue Verletzung lange Zeit unklar. Es wird unbestätigt von Waden­problemen gesprochen. Dann sickert es durch: Bosh hat erneut ein Blutgerinnsel, diesmal in besagter linker Wade.

Zu diesem Ergebnis kommt der medizinische Staff der Miami Heat. Bosh engagiert einen eigenen Arzt, der ihm zusichert, spielen zu können. „Ich habe keine gefährlichen Blutgerinnsel“, verkündet Bosh noch im März 2016. Der Olympiasieger von Peking wiederholt mehrfach, sich gut zu fühlen, und damit seinen Wunsch, auf den Court zurück­zukehren. Die Heat kommen diesem Gesuch nicht nach und drängen den 31-Jährigen dazu, sein Saisonende zu akzeptieren.

Doch Bosh will das nicht hinnehmen. Zuletzt unternimmt Bosh den Versuch, seine Belange mithilfe der Spielergewerkschaft NBPA durchzusetzen. Ein solches Treffen zwischen den Miami Heat und der NBPA soll nach unter­schiedlichen Medienberichten stattgefunden haben­ – aber bekanntlich ohne­ das gewünschte Resultat für den gebürtigen Texaner.

Riskanter Ehrgeiz
Dies ist laut Dr. Robert Myerburg, einem anerkannten US-Sportmediziner, auch die einzig vernünftige und somit richtige Entscheidung: „Das könnte fatal enden. Es kommen mehrere Faktoren zusammen. Bei einem Kontaktsport wie Basketball kann es jederzeit zu einem Schlag auf das Blutgerinnsel kommen. Zudem besteht die Gefahr, dass durch die enorme Flugbelastung einer NBA-Saison und die damit verbundene stundenlange Bewegungslosigkeit das Risiko neuer Thrombosen steigt.“ Und letztlich sei „Leistungssport ohne Schmerzmittel nicht vorstellbar“, so Myerburg weiter. Diese wirken zusätzlich zu Boshs Medikation blutverdünnend, was medizinisch „unverantwortlich“ sei.

Ob es der sportliche Ehrgeiz des ehemaligen Toronto-Spielers war oder fehlendes Bewusstsein für die Tragweite des Risikos, die Bosh dazu brachten, seinen Einsatz zu fordern, ist unklar. Am 5. Mai veröffentlichten die Heat, die sich zuletzt­ im Februar zur „Causa Bosh“ geäu­ßert hatten, eine offizielle Stellungnahme: „Die Heat, Chris Bosh, die Ärzte und das medi­zinische Team haben über die gesamte Zeit zusammengearbeitet und werden das auch weiterhin tun, damit Chris Bosh so bald wie möglich wieder Basketball spielen kann.“ Da dieses Statement, das Boshs einvernehmliches Saisonaus medial kommunizieren sollte, zu schwach war, legt NBA-Commissioner Adam Silver vier Tage später noch mal nach: „Es gibt keine Streitigkeiten zwischen Bosh und den Heat über sein Saisonaus.“

Einsicht oder Zwang?
Ob der Power Forward zu dieser Stellungnahme gezwungen wurde­ oder ob diese gar über seinen Kopf hinweg publiziert wurde, ist fraglich. Einsicht oder Zwang? Vernunft oder Business? Die grundsätzliche und philosophische Frage ist: Darf jemand zum Wohl eines anderen gegen dessen Willen handeln? Es steht fest, dass der gesamte US-Sport, und so auch die NBA, keine klassische Sportliga im europäischen Sinne­ ist, sondern ein zentralistisch organisierter Wirtschaftskonzern. Ein Toter auf einem ihrer Courts würde ihr Produkt vernichten. Die Schuldfrage würde einzig und allein­ der NBA in Person von Commissioner Silver gestellt.

Aufgrund dieser Gemengelage fällt das Urteil von Heat-Reporter Ira Winderman drastisch aus: „Ich glaube nicht, dass Bosh noch mal in der NBA spielen wird!“ Ob es Insider-Informationen sind, die ihn zu solch einer Äußerung bewegen, ist spekulativ; er weist darauf hin, dass in ähnlichen Fällen US-Sportler zum Karriereende gedrängt wurden. Sucht man nach Athleten, die bedingt durch Blutgerinnsel ihr Laufbahn beenden mussten, fällt einem der Ex-Spur und NBA-Champion von 1999, Jerome Kersey, ein. Kersey starb im Februar 2015, also just im Monat von Boshs Diagnose, an einer Lungenembolie (verursacht durch Blutgerinnsel). Angesichts dieser Tragödie sollte Bosh, der von einem Karriereende nichts wissen will, seine Position überdenken. Auch wenn der ehemalige Big Man der Georgia Tech nächste Saison wieder angreifen will, sollte man sich als Fan zumindest vorsichtig mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass der Mann, der gemeinsam mit LeBron James und Dwyane Wade für immer in den Basketball-Geschichtsbüchern stehen wird, bald widerwillig in Rente gehen muss, um seine Gesundheit nicht aufs Spiel zu setzen.

Markus Unckrich

Der Text erschien in der aktuellen BASKET-Ausgabe 07-08/2016!
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