Trotz Klatsche entdeckt worden

Geschmeidige Giganten wie Garnett oder Bogut galten zwischenzeitlich als ausgestorben. Ein gewisser Andy Hill musste bis nach Mazedonien reisen, um eines der seltenen Exemplare zu finden. Der Assistantcoach der University of Utah entdeckte Pöltl 2013 bei der U18-B-EM in einem Ort namens Strumica. In der stickigen Sporthalle sah Hill, wie Österreichs Junioren-Team von Holland derbe Prügel kassierte: 45:65! Doch interessant für den Tribünengast aus Amerika war nur einer: Jakob Pöltl. Der „Big Man from Austria“ brachte schon damals fast 210 Zentimeter an die Messlatte. Was Hill neben Pöltls Größe noch imponierte, war eine ganze Reihe von Kleinigkeiten: seine Geschmeidigkeit beim Drive, sein Timing beim Rebound und seine positive Körpersprache, trotz der 20-Punkte-Klatsche. Hill staunte: „Andere hätten wohl den Kopf geschüttelt oder Frust geschoben, aber er hat die Leute um ihn herum weiter motiviert.“

Zurück in Utah, hatte Hill seinen Headcoach Larry Krystkowiak mit wenigen Worten vom „Projekt Pöltl“ überzeugt. Jetzt galt es, schnell zu sein und vertrauenswürdig. Ex-NBA-Coach Krystkowiak (Milwaukee Bucks) nahm Kontakt zu den Pöltls in Wien auf. Zuerst via Facebook, denn telefonisch konnte er weder Jakob noch dessen Eltern erreichen. Als Krystkowiak dem dürren Jüngling schließlich das Stipendium in Utah anbot, begannen Jakobs Augen sofort zu leuchten. Doch auch Mama Martina musste überzeugt werden. Die sagt: „Als Basketball-Expertin würde ich mich nicht bezeichnen. Ich sehe meine Stärken eher im organisatorischen Bereich und in der Planung im Hintergrund. Bei den wichtigen Entscheidungen wie der Wahl des College-Teams und anderen Karriere-Entscheidungen habe ich Jakob unterstützt und beraten.“

Nach einigen Gesprächen vertraute Martina Pöltl ihren noch minderjähigen Sohn der University of Utah an. Den Ausschlag gab wohl Krystkowiaks Ehrlichkeit: Statt den Pöltls die NBA und viele Millionen Dollar zu versprechen, hatte „Coach K“ ganz sachlich die Stärken und Schwächen des schlaksigen Centers aufgezeigt und dem Familienrat dargelegt, wie er den Jungen am College fördern wollte.

Die Utah Runnin’ Utes bekamen einen neuen Superstar – und das gleich für zwei Jahre, denn Pöltl entschied nach bärenstarker Freshman-Saison (9,1 Punkte, 6,8 Rebounds, 1,9 Blocks): „Ich bleibe noch ein Jahr, weil das besser für meine Entwicklung ist.“ Der bodenständige Bursche hatte im Mormonenstaat das perfekte Umfeld für sich gefunden. Das Unigelände ist eher beschaulich, manche würden sagen: trist. Die Studenten, die dort hingehen, gelten nicht gerade als Party-Animals! Pöltl konnte sich also bestens auf die zwei wichtigsten Dinge in seinem Leben konzentrieren: sein Wirtschaftsstudium, das er vielleicht irgendwann fortführen möchte, und die B’ball-Karriere.

Ein drittes Jahr am College aber wäre pure Zeitverschwendung. Einer wie Pöltl gehört in die NBA – jetzt! Und die Liga empfängt den Riesen aus der kleinen Alpenrepublik mit offenen Armen, auch aus Vermarktungsgründen: Der smarte Riese wird der erste Österreicher in der 70-jährigen NBA-Historie sein. Er soll einen neuen Markt erschließen. Im Gegenzug winkt ihm ein Millionen-Dollar-Vertrag, weshalb bei den Pöltls zuletzt der Teufel los war. Agenten, die Jakob als Klienten gewinnen wollen, belagerten die Familie. Sportartikelhersteller sind heiß auf einen Schuh-Deal. Jeder will ein Stück vom Kuchen, auch Journalisten, die nach Storys und Interviews lechzen.

„Jakob wird damit gut fertig“

Pöltl gibt lieber die Gym-Rat als den Medienclown. Und noch eine Parallele zu Nowitzki – er hat einen guten Mentor an seiner Seite: Entdecker Andy Hill. Der Assistantcoach der Utah Runnin’ Utes hält Pöltl für charakterlich gefestigt und glaubt, dass dieser bereit ist für das Abenteuer NBA: „Jakob ist ein guter Junge, der keine verrückten Dinge macht. Die größte Veränderung ist der Lebensstil, wenn du 20 Jahre alt bist und plötzlich anfängst, Millionen Dollar zu verdienen. Ich glaube, jemand wie Jakob wird damit sehr gut fertig. Er ist intelligent und hat Bodenhaftung. Das wird ihn weit bringen.“

Zuvor hat der österreichische Nationalspieler noch eine lange To-do-Liste abzuarbeiten. Wie Nowitzki sieht Pöltl den Sommer nicht nur als Urlaubszeit, sondern als jährlich wiederkehrende Chance, sich zu verbessern. Körperlich kann der 113-Kilo-Mann (Spannweite: 2,16 Meter) ruhig noch ein wenig draufpacken. Daran arbeitet er ebenso hart wie an seiner Range und an der Trefferquote mit der schwächeren linken Hand. Im US-Magazin „Bleacher Report“ verriet Pöltl unlängst: „Ich bin immer noch vorrangig Rechtshänder. Aber ich habe ein paar Dinge auf der linken Seite entwickelt. Wenn man mir den linken Hook gibt, dann mach’ ich ihn.“

Bei aller Coolness auf dem Court: Beim Draft am 23. Juni wird „Jak“ genau so nervös in seinem Sessel hin- und herrutschen wie einst Nowitzki. Der beste deutsche Basketballer aller Zeiten wurde 1998 an Position neun von den Milwaukee Bucks gedraftet und zu den Mavericks getradet. Pöltl, an dem u.a. Denver und Toronto interessiert sind, könnte noch früher gewählt werden. Einige Experten sehen ihn sogar als Pick Nummer fünf.

Rolf Hessbrügge