Der Name LeBron James fällt noch häufig, wenn es um die Frage geht, wer der aktuell beste Basketballer auf dem Planeten ist, wie es die Amerikaner gerne etwas zu pathetisch ausdrücken. Doch immer häufiger fällt auch der Name Stephen Curry. Curry liefert nunmal die Shows und die Rekorde in dieser Saison. Die Leute haben sich noch nicht satt gesehen an dem kleinen Zauberer aus Oakland. Und LeBron? Der hat in dieser Postseason noch kein einziges 30-Punkte-Spiel abgeliefert, zum ersten Mal hat er in zwei Serien in Folge die besagte Marke nicht erreicht, und insgesamt jetzt schon neun Spiele lang nicht mehr. Ein unfairer Vergleich, würden jetzt vielleicht Außenstehende meinen.

LeBron James von den Cleveland Cavaliers konzentriert sich in einer Auszeit.

LeBron James legte in dieser Saison in keiner Statistik ein Career-High auf, macht sein Team aber trotzdem zum Titelkandidaten.
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Doch die Wahrheit liegt ein bisschen tiefer. Denn auch wenn Curry völlig zurecht MVP wurde, ist LeBron James dennoch der beste Basketballer der Liga. Curry ist der beste Shooter aller Zeiten, aber die „23“ der Cavs kann mehr als nur Schießen. LeBron James ist der bessere Rebounder, kann nahezu jede Position verteidigen, ist körperlich um Welten überlegen, kann gigantisch stark zum Korb ziehen und ja selbst sein Passspiel könnte dem des Point Guards überlegen sein. Nein, es macht keinen Sinn, die beiden zu vergleichen. Aber es illustriert, was der beste „Point Forward“ der Geschichte alles draufhat und weshalb er immer noch der „Michael Jordan seiner Generation“ ist, wie es Magic Johnson einst formulierte. Der viermalige MVP ist weiterhin das Gesamtpaket, bei dem man immer das Gefühl hat, er könne es sich aussuchen, ob er ein Triple-Double oder ein Spiel mit 35+ auf Parkett lege.

Dass die Strahlkraft LeBrons in dieser Saison ein wenig abgebaut hat, resultiert aus seiner veränderten Spielauffassung. In dieser Spielzeit agiert er in erster Linie als Mannschaftsspieler und als Leader. Er nimmt sich zurück beziehungsweise dosiert seinen Aktionismus zugunsten eines funktionierenden Mannschaftsgefüges. Dies wird deutlich, wenn man sich den Spielmacher LeBron James genauer anschaut. Nach seinen Pässen treffen seinen Mitspieler hochprozentiger von „Downtown“: Richard Jefferson 75 %, Channing Frye 62,5 %, Kyrie Irving 55,6 %, Kevin Love 53,6 %. Die Zahlen der Shooter sind nach seinen Pässen höher als die durchschnittlichen Quoten genannter Spieler. Der Grund liegt darin, dass der zwölfmalige All Star immer noch die komplette Aufmerksamkeit jeder Abwehr auf sich zieht und bei seinen Drives zum Korb immer in der Lage ist, den Ball raus zu passen auf seine freien Mitspieler.

LeBron hat jedoch auch aus der letzten Saison gelernt. Am Ende hatte er, durch die Ausfälle von Kyrie Irving und Kevin Love, keine andere Wahl, als das Duell „James vs. Warriors“ anzunehmen und sein Glück in der „Isolation“ zu suchen. Doch die gesamte Saison 2014/2015 unter David Blatt sah man, dass kein Team auf dem Feld stand. Durch das immense individuelle Können reichte es in einer schwachen Eastern Conference dennoch für die Finals. Team-Basketball gab es jedoch nicht mal in Ansätzen für die Fans in der Quicken Loans Arena.

Diese Saison ist das anders. Cleveland hat noch kein Spiel verloren, kein einziges in den neun Playoffpartien. Tyronn Lue hat in seiner Debüt-Saison als Headcoach eine blütenweiße Weste vorzuweisen. Zehn Playoffspielen ohne Niederlage bedeuten einen neuen Rekord. Der bisherige Rekordhalter war Pat Riley, dem 1981/82 neun Siege gelangen. Das Team kann diese Saison wirklich den Titel holen. Und die Chance nimmt mit jedem zusätzlichen Spiel zwischen den Golden State Warriors und den Oklahoma City Thunder im Westen zu. Dass es gegen die Toronto Raptors ohne Jonas Valanciunas eng werden könnte, dürften nicht einmal treue Fans der Kanadier glauben.

In Spiel zwei erzielte LeBron sein 15. Tripel-Double und hat damit nach Magic Johnson (30) die zweitmeisten in der NBA-Playoff-Historie. Doch als wäre das alles noch nicht genug, knackte der „Point Forward“ der Cavs zudem die 5250 Punkte von Shaquille O’Neal. LeBron kassierte damit den kraftvollen Lakers-Center und steht nun auf dem vierten Platz der ewigen Scoringlist der NBA Playoffs. Vor ihm steht nur noch die Crème de la Crème: 1. Michael Jordan (5987) 2. Kareem Abdul-Jabbar (5762) 3. Kobe Bryant (5640).

Wenn LeBron Raymone James am Ende dieser Saison seinem Heimatstaat Ohio die erste Meisterschaft deren Geschichte beschert haben sollte und den dritten NBA-Titel seiner „Legacy“ hinzugefügt hat, wird die Basketball-Welt wieder über „King James“ pathetische Lobeshymnen singen, nicht mehr nur über den kleinen Zauberer aus Oakland. Und wenn es wirklich dazu kommt, muss man sagen: Zurecht!