DeMarcus Cousins, das Mysterium! Der Kings-Center dominiert die NBA wie kein anderer Big Man, und doch wird er das Stigma des unverstandenen Superstars nicht los. Aber warum eigentlich nicht? An dieser Frage sind schon unzählige Außenstehende gescheitert. Wenn jemand erklären kann, wie der 25-Jährige tickt, dann ist es DeMarcus Cousins selbst. Ein Versuch, zuzuhören.

DeMarcus Cousins von den Sacramento Kings stützt sich in einer Auszeit auf seine Knie.

Superstar, Rüpel oder vielleicht sogar beides: Mysterium DeMarcus Cousins.
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Das Paradoxon DeMarcus Cousins ist ein viel zu leicht gefundenes Fressen für allzu viele Medienvertreter. Basketballerisch macht ihm niemand etwas vor. Für 27,2 Punkte (Karrierebestwert),  11,4 Rebounds und 2,9 kombinierte Steals und Blocks scheint der ultratalentierte Big Man an manch einem Abend nicht einmal zu schwitzen. Ausgestattet mit einer unnachahmlich agilen Fußarbeit, einem beneidenswert soften Touch (jetzt neu: auch mit 3er!) und natürlich der guten alten Dampframme ist DMC das wandelnde Mismatch für seinen Verteidiger. Auf der anderen Seite stehen die Momente, in denen er scheinbar die Kontrolle verliert. Schimpfwort-geladene Wutausbrüche in der Kabine, öffentliche Kritik am Trainer und Suspendierungen durch das Team. Und dann, als man sich gerade wieder auf das Sportliche besonnen hatte, ist Cousins plötzlich nur knapp davon entfernt, mit nur einem Faustschlag die Gesichtsform von Steven Adams und seine eigene Karriere für immer entscheidend zu verändern. Das Stereotyp wächst und gedeiht. Und genau dieser Sachverhalt ist es, der jede Analyse der Person DeMarcus Cousins – noch dazu von einem Außenstehenden – so kompliziert macht. Wer ist der Typ? Was ist ihm wichtig?

Ehrlichkeit
„Sie hassen dich, wenn du dich verstellst. Aber sie hassen dich noch mehr, wenn du ehrlich bist.“ Diese frei übersetzten Worte sind das Erste, was die mehr als eine Million Anhänger auf dem Instagram-Profil von DeMarcus Cousins sehen. Und er selbst hat, so viel ist klar, schon lange keine Lust mehr, sich zu verstellen. Das heißt aber nicht, dass auch alle um ihn herum mit seiner ehrlichen und direkten Art klarkommen. „Es gibt so viele falsche Vorstellungen, so viele Fehlannahmen, das ist unglaublich“, analysiert Cousins im BASKET-Interview. „Diese Missverständnisse und fälschlich verbreiteten Annahmen zerstören einfach alles. Viele -Leute wissen schlicht und ergreifend nicht, wie sie mit mir umgehen sollen. Ich sage meine Meinung und stehe auch zu ihr. Wem das nicht passt, dem kann ich auch nicht helfen.“

Es ist zu erkennen, dass es der 25-Jährige längst aufgegeben hat, die Vielzahl unterschiedlicher Berichte und Bilder, die die Presse vielerorts über ihn verbreitet, korrigieren zu wollen. Und auch wenn Cousins’ Selbstwertgefühl nicht durch Außenstehende und Pressevertreter beeinflusst wird, so fällt sein Ruf doch am Ende des Tages auf ihn und sein Team zurück, und auf die Personen, die ihm nahestehen. „Es ist schon schwer. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es nicht so sei“, gibt er offen zu. Und fügt dann schulterzuckend hinzu: „Aber im Leben ist nun einmal nichts perfekt.“ Und „Boogie“ hat seine ganz eigene, direkte Art, damit umzugehen. „Ich bin eben ein hässlicher Typ. Das ist nun einmal mein Gesicht. Was soll ich machen?“, fragt er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Wenn ich kleiner wäre, dann wäre ich ein kleiner hässlicher Typ. Nur weil ich groß bin, bin ich auf einmal ein einschüchternder Typ und ein Bad Boy.“ Er lacht. „Eigentlich will ich ja gar nicht so weit gehen … Doch eigentlich bin ich’s.“

Mit seinem von außen porträtierten Image hat sich Cousins in seiner inzwischen sechsten Saison in der NBA genauso abgefunden wie mit der Tatsache, dass er mit seinem (mittlerweile fünften) Trainer keine Freundschaft schließen muss. „Coach Karl ist ein aufgeschlossener Mensch, und wir alle spielen in einer Liga von Trends. Er weiß das. Ich weiß das“, philosophiert Boogie. Ein Beispiel für diese Philosophie ist der Dreipunktewurf, den der Center im vergangenen Sommer in sein Repertoire aufgenommen hat. „Die Initiative dazu kam von George Karl“, gibt Cousins, der heute durchschnittlich 3,5 Mal pro Partie von Downtown abdrückt, unumwunden zu. „Die Rolle der Big Men in unserer Liga ist sehr lebendig, und sie wird sich auch weiter verändern. Das sollte man respektieren.“

Loyalität
Und wer DeMarcus Cousins zu seiner Rolle bei den Sacramento Kings fragt, der muss ganz besonders mit seiner ehrlichen und direkten Art rechnen, wie BASKET beim Interview in Toronto am eigenen Leib erfahren durfte. Kurz vor der Trading-Deadline war Cousins’ Name zum wiederholten Male mit einer Vielzahl von Teams in Verbindung gebracht worden. Ein Fakt, der sich natürlich in den allermeisten Fällen der Kontrolle des betroffenen Athleten entzieht. Im Interview darauf angesprochen, reagiert der Center mit Unverständnis. „Ich kann die Gerüchte, die in den Zeitungen stehen, nicht beeinflussen. Die Leute, die mich kennen, meine Familie, meine Teammates, die Leute in Sacramento, sie alle wissen, dass ich hierbleiben möchte. Ich möchte es mit den Kings schaffen. Ich möchte der Typ sein, der in Sacramento etwas aufbaut“, stellt DMC unmissverständlich klar. „Deshalb verstehe ich deine Frage nicht!“ Pause. Das Statement hängt erst einmal im Raum. Eine Nachfrage ist allerdings gestattet, immerhin sah sich der „Boogie Man“ dazu genötigt, mehrfach im Vorfeld der Deadline seine Loyalität zu den Kings öffentlich zu bekräftigen. „Für mich hängen diese Dinge [Tradegerüchte und seine Loyalität] nicht zusammen. Ich habe den Leuten, die mir wichtig sind, meine Loyalität kundgetan. Eine andere Frage stellt sich für mich nicht.“ Na, wenn das mal keine Aussage ist.

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Familie
Loyalität ist dabei für Cousins nicht nur eine philosophische Luftblase, die er auf die T-Shirts seiner Apparel-Kollektion drucken lässt. Er ist Familien-mensch, schöpft Kraft aus der Unterstützung derer, die auch den Menschen und nicht nur den Basketballer DeMarcus Cousins kennen. Dasselbe gilt für seine Teamkameraden in der Kabine. Denn mit den Kings verbindet den Center noch mehr als Loyalität zu der Franchise, die ihn mit dem fünften Pick des 2010er-Draft wählte: Hoffnung. „Ich habe die Hoffnung, dass wir bald endlich über den Berg sind“, gesteht er, auch wenn es für Sacramento in dieser Saison bei einer Siegquote von unter 40 Prozent wieder einmal nicht für die Playoffs reicht. Die Postseason wird Cousins also auch in seinem sechsten Jahr als Profi nur im Fernsehen verfolgen können. Und dennoch: „Wir müssen trotzdem positiv bleiben!“, fordert Cousins in traditioneller Anführermanier. „Wenn wir in der Kabine sind, geht es darum, konstruktiv zu denken und zu handeln! Wenn wir als Team geschlossen auftreten und an einem Strang ziehen, macht das vieles für uns leichter.“

All den hoffnungsvollen Floskeln zum Trotz steht außer Frage, dass das stete Verlieren Spuren beim ehemaligen Kentucky Wildcat hinterlassen hat. Nach mittlerweile sechs Jahren in der NBA, in denen die Goldmedaille mit dem Team USA der einzige Lichtblick in Sachen Teamerfolg für den -ultra-talentierten Cousins darstellte, treten persönliche Statistiken, All-Star-Teilnahmen und auch alles andere in den Hintergrund. DMC hat eine neue Philosophie gefunden und entlehnt sein neues Motto bei Al Davis. Die viel zitierte Lebensweisheit des selten unumstrittenen ehemaligen Teambesitzers der Oakland Raiders? Just win, baby!

Gewinnen
„Eines habe ich mittlerweile gelernt“, erklärt Cousins mit ernster Miene. „Du kannst in dieser Liga veranstalten, was du willst, solange du nur gewinnst. Gewinnen löst alle Probleme!“ Weise Worte, und aller Wahrscheinlichkeit nach auch der einzige Weg für den mit Talent im Überfluss gesegneten Cousins, jedwede Fragen zu seinem Charakter oder seiner Einstellung zu zerstreuen. „Jetzt mal ehrlich, ich habe mich hingesetzt und habe darüber nachgedacht, habe andere Spieler analysiert und alles. Verdammt, wenn du gewinnst, dann akzeptieren die Leute dich – völlig egal, wer du bist. Du könntest ein verfluchter Crack-Süchtiger sein, und sie würden dich lieben. Wenn du gewinnst, werden alle anderen Dingen einfach unter den Teppich gekehrt!“

Kultur
Cousins hat mit allem Recht, was er in diesem Statement sagt. Und wahrscheinlich treffen seine Aussagen bei niemandem in der gesamten NBA so
sehr zu wie bei ihm. Doch er hat ein gewaltiges Problem. „Mir ist sehr wohl bewusst, dass man nicht über Nacht zu einem Gewinner wird. Wir müssen eine Kultur des Gewinnens etablieren. -Aktuell haben wir als Franchise keine -besonders guten Vibes, die man mit uns verbindet. Das müssen wir ändern. Und das kostet nun einmal Zeit.“

Zeit, das ist eins der Elemente, die DeMarcus Cousins nicht im Überfluss hat. Ein weiteres ist Hilfe. Vlade Divac, der Präsident für Basket-ball-angelegen-heiten im Hause der Kings, und Vivek Ranadivé, der Teambesitzer mit dem Gedulds-faden eines Dreijährigen auf einer langen Autofahrt, haben ihren Franchise Player mit einem alles andere als qualitativ hochwertigen Supporting Cast umgeben. Aber – und dieser Vergleich sei an dieser Stelle verziehen – die Mannschaft, die der Künstler, der früher unter dem Namen Dwight Howard bekannt war, 2009 in die NBA-Finals führte, lief auch nicht gerade vor Talent über. Und so talentiert wie der junge Superman ist „Boogie“ Cousins allemal. Wenn es für ihn – laut Cousins eigener Aussage – ein Leichtes ist, Nacht für Nacht 25 und zwölf abzuliefern, warum kommt dann für die Kings nicht mehr dabei rum?

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Teamerfolg
Die Resurrektion der Karriere von DMC führt einzig und allein über den Teamerfolg! Eine Tatsache, die niemandem bewusster ist als ihm selbst. „Ich arbeite extrem hart daran, als Spieler das nächste Level zu erreichen“, berichtet der 25-Jährige. „Seit [Point Guard Rajon] Rondo bei uns ist, habe ich beispielsweise ein viel besseres Verständnis dafür, die Videoanalyse nicht nur zum Scouting unserer nächsten Gegner, sondern auch für die Verbesserung meines eigenen Spiels zu nutzen. Wir sitzen auf den Flügen immer nebeneinander und schauen unzählige Stunden Videomaterial an. Ich arbeite daran, jeden einzelnen Aspekt meines Spiels zu verbessern!“, verspricht Cousins unter langsamem, stetigem Kopfnicken. Der 2,10-Meter-Hühne mit der leisen Stimme ist smart genug, um zu wissen, dass es Aussagen wie diese sind, die die Basketballfans von ihm hören wollen. Aber das ist nicht der Grund, warum er diese Worte gewählt hat. DMC ist zu einer unumstößlichen Erkenntnis gekommen: Es ist egal, was die Leute hören wollen. Es ist auch egal, was die Zeitungen schreiben. Der einzig entscheidende Gradmesser liegt im sportlichen Erfolg seiner Mannschaft.

Beschreibung
Doch was bringt diese Erkenntnis? Was bringt sie Cousins? Was bringt sie den Kings? Und: Was bringt sie uns? Gibt es am Ende der beiden persönlichen Interviews mit Boogie eine klare Antwort auf die Frage: Wer ist DeMarcus Cousins? Nein, definitiv nicht. Aber vielleicht ist das Bild zumindest ein wenig detaillierter geworden. „Boogie“ Cousins bei bester Laune ist ein Vergnügen für alle Anwesenden. Doch seine Stimmung kann auch sehr schnell umschlagen (wie ein kanadischer TV-Reporter feststellte, als er Cousins’ Grenze übertrat). Er ist ein offener und ehrlicher Gesprächspartner: Seine direkte Art birgt das Potenzial für ein großartiges Interview. Er ist ein smarterer Typ, als ihm viele Leute zutrauen. Er nimmt seinen Job äußerst ernst, doch auch er kann nicht verhindern, dass das konstante Verlieren Spuren bei ihm hinterlässt. „Vor allen Dingen fühle ich mich heute in meiner Haut zweifelsohne wohler, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war“, sagt Cousins selbst. „Nichts im Leben ist perfekt. Aber es ist komfortabler, weil ich besser weiß, was ich zu erwarten habe.“ DeMarcus Cousins lässt sich nicht nur mit einer Eigenschaft beschreiben, aber mit einer bestimmten ganz -sicherlich: Er ist eben ehrlich.

Christian Trojan