Darauf, dass er seinen Anzug aus- und das Trikot anzieht, können alle lange warten. Die Rede ist natürlich von keinem anderen als Rookie-Coach Brad Stevens, der einen verdammt großen Anteil daran hat, dass die Celtics mit einer überraschend guten Bilanz von 10:14 auf dem vierten Platz im Osten und damit an der Spitze der Atlantic Division stehen.

Der gerade einmal 37-jährige Frischling auf der Trainerbank der erfolgreichsten Franchise der Basketball-Historie ist aktuell nicht nur der jüngste Headcoach der Liga, sondern ein waschechter Basketballanalytiker.
Laut SportsIllustrated ist er ein Experte darin, Tapes und Statistiken zu analysieren und die Schwächen des Gegners zu finden. Aber noch mehr zeichnet den ehemaligen Butler University-Coach aus.

Doch erst einmal von Beginn: Für viele kam die Verpflichtung des noch so jungen Trainers ebenso überraschend wie der Weggang des alten Coaches Doc Rivers. Viele waren skeptisch, ob der fehlenden NBA-Erfahrung des zweifachen Vaters.

Ein gutes Team: Brad Stevens und Avery Bradley.

Ein gutes Team: Brad Stevens und Avery Bradley.

Nach nur wenigen Wochen stehen die Celtics besser da, als es die Prognosen vor der Saison für möglich gehalten hatten. Und Stevens kommt in den amerikanischen Medien meist sehr gut weg (in den deutschen Medien fliegt er zurzeit noch unter dem Radar).

Doch wie schafft Stevens es, aus einer Rebuild-Truppe ein Team zu machen, das derzeit die Atlantic Division deutlich vor den beiden so hochgehandelten New Yorker Teams anführt? Bereits jetzt wird er von Basketballexperte Nick Hauselmann (bekannt durch den Youtube-Kanal „Bballbreakdown“) als einer der besten Coaches der Liga angesehen. Und auch der beste Trainer der NBA, Gregg Popovich, gab vor wenigen Wochen zu, dass der des Öfteren bei College-Spielen der Butler University eingeschaltet habe, um von Coach Brad Stevens zu lernen. Solche Worte vom Trainerfuchs höchstpersönlich sind quasi schon ein Ritterschlag, bevor Stevens überhaupt etwas in der NBA erreicht hat.

Sein Geheimrezept? Nun, wer sich in dieser Saison schon mal ein Spiel der Kelten angeschaut hat, wird gemerkt haben, dass Brad Stevens ruhig bleibt, egal was ist. Fragwürdige Pfiffe der Refs, Turnover, bei denen ich vor Wut am liebsten meinen Laptop zertreten würde, oder auch der Game-Winner von Jeff Green gegen die Heat – Brad Stevens bleibt immer ruhig.
Seine Theorie: Das Spiel des Teams gleicht sich der Gefühlslage seines Trainers an und wenn der ruhig ist, bleibt das Team auch ruhig. „Ich möchte nicht, dass wir wegen meiner Herangehensweise ein Spiel verlieren“, meint Stevens dazu. Gegen die Heat beispielsweise hat es jedenfalls funktioniert. Wo viele Trainer bei einem Rückstand von vier Punkten und einer verbliebenen Zeit zum schnellen Dreier greifen, ließ Stevens einen Spielzug laufen, an dessen Ende Wallace sichere zwei Punkte machen konnte. Der Rest ist bekannt.

Diese extreme Fokussierung auf das Spiel gibt den Spielern auch einiges an Selbstvertrauen und Zielstrebigkeit. Man fühlt sich sicherlich besser, wenn einen der Coach in der Timeout mit aufbauenden Worten auf etwas hinweist und das so positiv wie möglich verpackt, als wenn er einen zusammenbrüllt. Genau das ist Stevens’ Philosophie und gerade die ist für ein junges Team im Rebuild, das erst noch seine Identität finden muss, das Richtige. Er macht ihnen klar, dass es durchaus im Bereich des Möglichen, ja etwas Normales ist, dass man eigentlich bessere Teams wie die Heat oder die Knicks schlagen kann. Er versucht seinem großteils jungem Team eine „Winning-Mentality“ zu geben.

Zeigt den richtigen Weg: Brad Stevens gilt als großer Taktiker.

Zeigt den richtigen Weg: Brad Stevens gilt als großer Taktiker.

Zudem hat er sich innerhalb kurzer Zeit unter den Spielern Respekt verschafft – und das obwohl er nicht sehr viel älter ist als manche von ihnen. So setzte er Jeff Green in einem Spiel das gesamte letzte Viertel auf die Bank, obwohl dieser der neue Go-to-Guy in Boston sein oder zumindest werden und in dieser Saison viel Verantwortung tragen soll. Kein Spieler ist „untouchable“, zeigt Stevens damit. Green legte im darauffolgenden Spiel übrigens sein bis dato bestes Spiel der Saison auf und scorte gegen die Grizzlies 22 Punkte.

Stevens’ Philosophie des Zusammenhalts und des Fokus’ zeigt vor allem in der Verteidigung Wirkung. Die Celtics lassen die fünftwenigsten Punkte aller NBA-Teams zu (95,8 PPS). Das ist sicherlich auch ein Überbleibsel der starken Butler-Verteidigung, die sich „21-D“ nennt. Sobald der Gegner in einer Entfernung von 21 Fuß vom Korb ist, wird sehr hart verteidigt. Stevens hat in Bostons Verteidigung aber vor allem das Augenmerk auf „beyond the arc“ gelegt. Spieler, die den Ball in diesem Bereich bekommen, werden sehr eng verteidigt. Nicht umsonst erlauben die Celtics die viertwenigsten Dreier aller NBA-Teams (16,5 pro Spiel) und halten ihre Gegner bei der drittniedrigsten Quote (33 Prozent).

Offensiv gibt es zwar noch viel aufzuholen (95,0 PPG, Rang 24), Stevens hat aber durch eine teilweise Neuorientierung den Grundstein dazu gelegt. Nicht nur, dass insbesondere Gerald Wallace und der in Transition tödliche Jeff Green bei Rebounds häufiger Coast-to-coast gehen sollen, um die unformierte Abwehr des Gegners auszunutzen, sondern auch über den Post wird mehr gespielt. 13 Prozent aller Wurfversuche kommen aus dem Post, letztes Jahr waren es gerade einmal sechs. Dabei scoren die Celtics von dort auch 0.89 Punkte pro Post-up-Possessions (Rang acht in der Liga). Gerade Jared Sullinger und Brandon Bass kommt das zu Gute, die beide bisher eine starke Saison spielen. Bass postet diese Saison im Schnitt fast dreimal so häufig auf wie in der Vergangenheit. Stevens Trick dabei ist aber nicht, dass jeder einzelne Post-Up ein Wurfversuch werden soll. Er spielt gerne das Inside-Out. Das funktioniert nur durch den Drive zum Korb oder eben durch Post-Ups.
Zudem lässt Stevens viele Spielzüge laufen. Gerade am Ende eines Viertels, nach Time-Outs und Einwürfen wird unter ihm nie „Hero Ball“, sprich Isolation-Basketball gespielt, sondern immer aufs Playbook zurückgegriffen.

Auch wenn Brad Stevens erst 26 Spiele als NBA-Coach hinter sich hat, kann man doch schon seine Handschrift in Boston erkennen. Seine ruhige, fokussierte und ehrliche Art sowie sein teamorientiertes Spiel haben es nicht nur geschafft, die Celtics zu einer funktionierenden und zusammenarbeitenden Mannschaft zu machen, sondern auch die Skeptiker verstummen lassen. Ganz nach seinem Motto „Earn the right to score. Earn the right to get stops” schafft er es, einem jungen Team langsam eine Identität zu schaffen. Wer weiß, was in dieser Saison für die Celtics mit Stevens noch alles möglich ist. Eines ist jedoch klar: Was es auch ist, der junge Coach wird ruhig bleiben.

Hand in Hand: Brad Stevens und Gerald Wallace.

Hand in Hand: Brad Stevens und Gerald Wallace.