Am 7. Juni feiert Allen Iverson seinen 41. Geburtstag. Vor genau 15 Jahren war „The Answer“ derweil auf dem Zenit seines basketballerischen Könnens. Und er war nicht mehr nur Baller mit einzigartigem Talent, sondern entwickelte sich auch vom Problemkind zum Anführer. Wir werfen einen Blick zurück.

„Das Wichtigste ist, dass du rausgehst und jedes Spiel so spielst, als wäre es dein letztes.“ Ein Mantra, welches Allen Iverson und seine Regular Season 2000/01 nicht besser widerspiegeln könnte. Ist es mittlerweile tatsächlich 15 Jahre her, dass der Mann eine der beeindruckendsten Saisons der Geschichte abgeliefert hat? Dass der gesamten Basketballwelt durch seine unnachahmlichen Crossover und seine unwiderstehlichen Drives reihenweise die Kinnladen herunterklappten? Ja, ist es tatsächlich.

Allen Iverson von den Philadelphia 76ers sitzt während der NBA-Finals 2011 auf dem Boden.

Allen Iverson lieferte 2000/2001 seine beste NBA-Saison ab.
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Im Oktober 2000 beginnt diese einmalige Reise des polarisierenden und skandalumwobenen Superstars, die ihresgleichen sucht. Denn was „The Answer“ in dieser einen Spielzeit aufs Parkett zaubert, ist schlichtweg spektakulär – und bringt Großes hervor: Iverson wird nicht nur der MVP des All-Star-Games 2001 (25 Punkte, fünf Assists, vier -Steals), Top-Scorer (31,1 PPS) und Steals-Leader (2,5 STL) der Liga. Am Ende bekommt er von Commissioner David Stern auch noch die Maurice Podoloff Trophy überreicht – wohlgemerkt der bis heute kleinste und leichteste Spieler, dem diese Ehre zuteil wurde! Darüber hinaus führt er seine Philadelphia 76ers zum ersten Mal seit 1983 wieder in die NBA-Finals. Dass er dort mit 1:4 in der Serie gegen die übermächtigen Lakers um Kobe Bryant und Shaq O’Neal unterliegt, ist bestens bekannt und trübt das Bild natürlich. Es täuscht aber nicht darüber hinweg, dass „A.I.“ 2000/01 den wohl besten Basketball seines Lebens spielte und seine erbitterten Kritiker endgültig verstummen ließ.

Wandel mit Folgen
Der Grundstein für die überragenden Leistungen der Nummer drei wird bereits vor der Saison gelegt, und zwar durch eine entscheidende Veränderung. „Er kam zu mir und meinte: ,Ich werde all die Dinge ändern, die dich in der Vergangenheit so gestört haben.‘ Als er diese Worte sagte, dachte ich: ,Wir haben eine echte Chance‘“, so sein damaliger Trainer Larry Brown. Der 1,83 Meter kleine Guard versteht plötzlich, dass er nicht nur seinen Mitspielern zu vertrauen hat, sondern eben auch dem Mann, der an der Seitenlinie steht. „Er machte mich auf Dinge aufmerksam, die ich vorher nie beachtet hatte und die mich zu einem besseren Leader auf und neben dem Platz werden ließen. Das war enorm wichtig“, weiß Iverson im Nachhinein. Der No.-1-Pick von 1996 wird vor dem Saisonstart zum neuen Kapitän seines Teams berufen, doch die nicht ganz unbefleckte Vergangenheit des damals 25-Jährigen weckt in der Folge berechtigte Zweifel an seinen Führungsqualitäten. „Das wird die wichtigste Saison meiner Karriere, weil alle Augen auf mich gerichtet sind. Jeder will sehen, ob ich ein Captain und ein Leader sein kann. Und ich bin so was von bereit für diese Herausforderung!“, verkündet er kurz vor der Regular Season.

Traumstart und All Star
Und der Mann aus Hampton, Virginia, zögert keine Sekunde, um zu beweisen, dass er Phillys neuer Leader ist. Die Sixers starten fulminant in die Saison, gewinnen ihre ersten zehn Partien und verlieren bis zum All-Star-Game lediglich 14 Begegnungen. Beim Treffen der Besten im Februar erntet das Team die ersten Früchte der harten Arbeit: Brown darf die Ost-All-Stars aufgrund Philadelphias Top-Bilanz (36:14 Siege) coachen, Iverson und Big Man Theo Ratliff werden ins Team gewählt, wenngleich Ratliff verletzungsbedingt nicht mitspielt. Und nach dem äußerst knappen 111:110-Erfolg des Ostens sagt „A.I.“ ganz selbstlos: „Ich widme diesen Award meinem Coach Brown, meinen Teamkameraden, meiner Familie und meinen Freunden.“ Müdigkeit ist beim Hip-Hop-Baller nach dem All-Star-Break aber ebenso wenig zu sehen-wie Dreier bei Tyson Chandler. Im Gegenteil: Der kleine Guard mit dem großen Herz dreht so richtig auf, erzielt unmittelbar nach dem ASG in drei aufeinanderfolgenden Spielen 40 Zähler oder mehr und kommt am Ende der Saison auf insgesamt unglaubliche 17 (!) Partien mit mindestens 40 Punkten. Die Folge: Er wird zum zweiten Mal nach 1998/99 Top-Scorer, legt 3,8 Rebounds, 4,6 Assists und 42,0 % Feldwurfquote pro Spiel auf. Auch die Teambilanz fällt mit 56:26 am Ende zufriedenstellend aus – die beste in der Eastern Conference. Die Nominierung ins „All-NBA First Team“ nimmt „The Answer“ ganz nebenbei auch noch mit. Und er ist noch lange nicht fertig.

Durchmarsch
Seine Mission hat zu diesem Zeitpunkt nämlich gerade erst richtig begonnen. Die Postseason steht an, und es geht direkt mit einem brisanten Duell los. Die 76ers starten gegen das Team, an dem sie im Vorjahr noch mit 2:4 scheiterten: Indiana um Super-Shooter Reggie Miller. Doch Allen Iverson wäre nicht Allen Iverson, wenn er dieses Mal nicht eine Antwort parat hätte: 45 Punkte im zweiten Spiel legen den Grundstein für den 3:1-Sieg in der Serie.

In Runde zwei liefert sich Iverson mit Vince Carter und den Toronto Raptors einen epischen Battle, der sieben Spiele andauert. Iversons 54 Punkte im zweiten Game und Carters Antwort (50 Zähler) im Spiel darauf sind legendär. Die Serie endet schlussendlich mit 4:3 für Philly, da „A.I.“, beflügelt durch die offizielle Übergabe der MVP-Trophäe vor der fünften Partie, mit 52 Zählern glänzt. Teamkollege Matt Geiger schildert treffend: „Viele Leute, die die Playoffs vor dem Fernseher verfolgten, dachten sich: ,Selbst ich bin größer als dieser Typ. Wie besteht er gegen all die Riesen?!‘“ Danach ziehen auch die Bucks um Youngster Ray Allen im Conference-Finale den Kürzeren (3:4). Iverson ist in der Form seines Lebens, steuert trotz anhaltender Rückenprobleme im siebten Spiel 44 Zähler bei …

Purer Wille
Die Finals gegen die Lakers beginnen mit einem unerwarteten 107:101-Overtime-Sieg der Sixers (muss man erwähnen, dass Iverson 48 Zähler auflegt?!), was in den Köpfen vieler Philly-Fans Szena-rien entstehen lässt, die sie sich im Oktober 2000 wohl nur im Traum vorgestellt hatten. Die folgenden vier Niederlagen sind schlussendlich aber leistungsgerecht und stoppen Allen Iversons einmalige Spielzeit.

Das Besondere: Die 76ers -bestehen außer Iverson und dem während der Saison hinzugekommenen „DPOY“ Dikembe Mutombo nur aus Rollenspielern, die zwar aufopferungsvoll kämpfen, aber kaum Klasse haben. „The Answer“ befördert sein Team auf seinen schmalen Schultern praktisch im Alleingang und mit purem Willen in die NBA-Finals, wo er zum einzigen Mal in dieser Saison keine Antwort geben kann. Coach Brown resümiert: „Einen solchen Siegeswillen habe ich noch nie erlebt!“