Es war wenige Sekunden nach der denkbar knappen und emotionalen Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien, als Dennis Schröder vor das Mikrofon und die TV-Kamera trat und sagte, dass er lieber eine andere Taktik gefahren wäre, sich aber der Anweisung des Coaches entsprechend verhalten hatte. Es war ebenfalls einige Sekunden nach der noch knapperen und noch emotionaleren Niederlage der deutschen Nationalmannschaft gegen Spanien, als Dennis Schröder, der eben noch den entscheidenden Freiwurf zur Verlängerung auf den Ring setzte und damit den Traum unzähliger Fans nicht weiterleben lassen konnte, vor das Mikrofon und die TV-Kamera trat und sagte, dass er die Niederlage auf seine Kappe nehmen würde. Mit anderen Worten: Er sei Schuld.

Dennis Schröder und das deutsche Team verpassten denkbar knapp das Achtelfinale (Foto: Getty Images)

Dennis Schröder und das deutsche Team verpassten denkbar knapp das Achtelfinale (Foto: Getty Images)

Tage später wird er dafür kritisiert. Für seine Spielweise, seine Worte in Interviews und seine Meinung zu Chris Flemings Defensivsystem in den letzten Momenten gegen Italien. Schlimmer noch: Von mehreren Seiten prasselt Kritik auf Dennis Schröder ein und der Mann, der Deutschland im Turnier gehalten hatte, ist plötzlich der große Loser der EM. Dass Dennis ein Top-Turnier spielte und Lob kassierte (ein spanischer Spieler sagte nach dem Duell: „Wir hatten nur ein Ziel: Dennis stoppen. Wir haben viel Video geschaut und im Training Situationen simuliert – und alles war um sonst, er ist wirklich stark!“), ging völlig unter. Der Junge, dessen Story ganz Basketball-Deutschland in den letzten Jahren bewegt hatte; der gefeiert wurde; dessen Aufstieg in die NBA gelobt wurde; der „cool“ war; wegen dem Deutschland vor drei Wochen noch die Olympia-Quali zugetraut wurde, wurde ins Abseits gedrängt. Und zwar von Leuten, die weder in seinem privaten Leben noch in der NBA oder dem DBB zu seinem engeren Umfeld gehören.

Anfangs hielt ich mich zurück, aber an dieser Stelle muss ich einfach eine Lanze für Dennis brechen!

Was ich nicht verstehe: Von mehreren Seiten prasselt Kritik auf Dennis ein. Natürlich hat jeder das Recht, seine Meinung frei zu äußern und dazu gehört auch, dass er kritisieren darf. Aber wo sind die Verantwortlichen des DBB, die Dennis an dieser Stelle den Rücken stärken könnten, wie sie es während der EM taten? Wo ist Armin Andres’ Aussage zu Schröders Leader-Qualitäten? Wo ist Ingo Weiss? Dirk Nowitzki hat sich vor und während der EM sowie direkt nach dem letzten Spiel für Dennis ausgesprochen. Aber wo sind die Funktionäre, wenn ihr Schützling, ihr bester Spieler, ihr Mann der Zukunft in die „Mangel genommen“ wird? Wenn sein Ruf „auf dem Spiel steht“? Ein klares Statement würde ich mir wünschen. Was sie sagen, ist ihnen überlassen. Aber nur zu schweigen, finde ich nicht in Ordnung.

Was ich nicht verstehe: Warum erhält Dennis für seine Leistungen bei der EM von seinem Hawks-Coach Mike Budenholzer positives, lobendes, anerkennendes Feedback? Der Mann muss doch Ahnung von Basketball haben. Warum kritisiert er dann nicht auch? Warum entscheidet er sich für das Gegenteil und lobt seinen Schützling sogar? Weil er muss? Nein! Weil er Dennis kennt und das Spiel versteht. Dennis war der beste Deutsche bei diesem Turnier, einer der besten Spieler der EM! Er hat die DBB-Auswahl getragen und sie mehrmals in die Position gebracht, am Sieg zu schnuppern. Natürlich hat Dennis dabei nicht fehlerfrei gespielt und sich viele Turnover geleistet, Würfe verworfen und Diskussionen geführt. Aber was bitte wird von einem zu diesem Zeitpunkt noch 21-Jährigen – mittlerweile ist er ja 22 – erwartet? Er ist noch kein Superstar noch kein etablierter Starter bei den Atlanta Hawks. Warum also darf er keine Fehler begehen, wie andere Spieler in seinem Alter? Warum muss bei ihm jeder Fehltritt sofort auf die Goldwaage gelegt werden? Der beste Basketballer aller Zeiten hat, wenn auch mit anderen Worten, einmal gesagt: Nur durch Fehler wird man besser. Und das sagt auch ein Kobe Bryant, ein LeBron James, ein Dirk Nowitzki, ein Tim Duncan, ein … Sich in dem Moment aufzuregen und zu ärgern, das ist vollkommen in Ordnung. Das wird Dennis selbst auch getan haben. Aber nachtragend zu sein und ihn, der das Team getragen und das Achtelfinale auf der Hand hatte, zum Sündenbock zu machen, ist nicht die feine Art.

Dennis Schröder und Chris Fleming waren während der EM vielleicht nicht immer ein Meinung, aber sie hielten zusammen (Foto: Getty Images)

Dennis Schröder und Chris Fleming waren während der EM vielleicht nicht immer einer Meinung, aber sie hielten zusammen und der Coach hatte das letzte Wort (Foto: Getty Images)

Was ich nicht verstehe: Immer wieder wird hierzulande davon gesprochen, dass „uns die Typen fehlen“. Das wir keine Athleten mehr haben, die „anecken“ oder „polarisieren“, die „ihr Ding machen“ und „in keine Schublade passen“. In Dennis Schröder haben wir genau so einen Mann. Einen Typ. Dennis ist modern, lässt seine Fans über die Social-Media-Kanäle an seiner Karriere, seinem Leben teilhaben. Warum freuen wir uns nicht einfach darüber, dass wir endlich mal wieder einen solchen Typen haben. Wir Deutschen, die doch so danach suchen und sich so sehr einen solchen Sportler herbeisehnen, einen Typen. Scheinbar kann die Mehrheit mit einem solchen Männern gar nicht umgehen. Und das ist schade!

Was ich nicht verstehe: Warum wird Dennis Schröder immer und überall mit Dirk Nowitzki verglichen? Dirk ist einzigartig – und Dennis auch. Beide haben einen vollkommen unterschiedlichen sozialen und sportlichen Background. Beide sind unterschiedliche Charaktere. Beide stehen für eine unterschiedliche Generation. Beide haben ihre individuelle Art, mit Dingen umzugehen und sich zu verhalten. Kein Basketballexperte vergleicht ihr Spiel konkret, da sie auf unterschiedlichen Positionen agieren. Dirk ist Power Forward, war das Weißbrot aus Deutschland, dass sich in der NBA durchsetzte und den Sport revolutionierte. Das wird es so schnell nicht mehr geben. Dirk ist Dirk. Und genauso ist Dennis Dennis. Er hat seinen eigenen Weg, den er bis zu diesem Zeitpunkt seiner Karriere gegangen ist und den er in Zukunft gehen wird. Lassen wir ihn diesen Weg doch einfach gehen. Und vergleichen es nicht immer mit Dirk!

Was ich nicht verstehe: Dennis Schröder hat in der NBA Fuß gefasst und sich eine Rolle bei einem Top-Team erkämpft. Tibor Pleiß versucht sich ab diesem Jahr bei den Utah Jazz, Dirk Nowitzkis Karriere neigt sich langsam, aber sich ihrem Ende entgegen. Warum also freuen wir uns nicht mehr darüber, dass wir auch in Zukunft nicht auf einen deutschen Top-Spieler in der besten Basketballliga der Welt verzichten müssen? Weshalb akzeptieren wir Dennis nicht einfach so, wie er ist und geben ihm die Chance, seine eigenen Wege zu gehen und seine eigenen Aufgaben zu bewältigen? Ja, er begeht Fehler – aber welcher 22-Jährige tut das nicht? Wollen wir ihn wirklich vergraulen, sodass er keine Lust mehr auf die deutschen Medien hat? Wollen wir wirklich riskieren, das neue deutsche Gesicht dieser Sportart, mit dem sich unzählige Jugendliche identifizieren, zu verlieren? Die Vorstellung, dass diese Fragen in geraumer Zeit mit „Ja!“ beantwortet werden, stimmt mich traurig. Weil es uns, Dennis, der Sportart, dem Nachwuchs, … nicht helfen würde.

Gegen die Point-Guard-Elite um Milos Teodosic zeigte Dennis, wie gut er ist (Foto: Getty Images)

Gegen die Point-Guard-Elite um Milos Teodosic zeigte Dennis, wie gut er ist (Foto: Getty Images)

Freuen wir uns doch einfach darüber, dass er es bis an den Punkt geschafft hat, wo er heute steht. Und konzentrieren wir uns doch einfach auf unsere Aufgaben: Begleiten, berichten, investigativ sein, gut recherchieren. Aber nicht prügeln, tadeln und auch nicht immer zu schnell urteilen. Ich weiß noch, wie das damals bei Dirk war, als er vielen „zu weich“ war und deswegen den „Durchbruch nie schaffen“ würde. Gibt’s einen einzigen Menschen, der das heute noch behauptet?

Dirk konnte ich in seiner Anfangszeit leider nie richtig abseits der Kamera erleben und wahrnehmen. Aber seit Jahren treffe ich Dennis ohne eine Kamera und jedes Mal hat es Spaß gemacht. Wir wussten dabei immer, dass es Dinge gibt, die wir verbessern müssen – und so wurde jedes Treffen neu, anders, professioneller und doch menschlich, cool. Das Entscheidende ist nämlich: Dennis Schröder arbeitet an sich und versucht, immer besser zu werden. Auf dem Court und abseits. Er arbeitet an sich. Und an seiner Arbeitsmoral können sich viele Menschen ein Beispiel nehmen, bevor sie das nächste Mal wieder vorschnell urteilen.

Henning Kuhl