Seien wir ehrlich: Als Fan hat man bereits nach wenigen Spielen dieses gewisse Gespür, zu welcher Leistung das eigene Team in dieser Saison in der Lage ist. Die schönsten Träume, die man sich in der Offseason ausgemalt hat, fallen plötzlich wie ein Kartenhaus in sich zusammen und ausgerechnet die Dinge, die man sich niemals erträumt hätte, treten ein. Die Realität hat einen eben wieder eingeholt. Ja, diese Offseason ist für jeden Fan doch irgendwo die schönste Zeit. Die Uhren stehen auf null, die Bobcats sind gleich auf mit den Heat und man findet in jedem Trainings-Camp einen Spieler, der offenkundig von den Playoffs spricht. (Wie das Beispiel Philly zeigt, vielleicht auch nicht immer zu unrecht – MCW sei Dank!)
Was sollen wir von den neuen Mavs halten?

Was sollen wir von den neuen Mavs halten?

Naja, zurück zum Thema: Im Fall der Dallas Mavericks reichte mir eigentlich das Auftaktspiel gegen die Hawks, um gewisse Hoffnungen schnell zu begraben und andere Erwartungen bestätigt zu sehen. Die nächsten Partien haben mich in meinen vorzeitigen Urteilen nur bestärkt. Und diese lauten wie folgt:
– „Uns Dörk“ (jeder wird ihm aufgrund einer beispiellosen Karriere und dem ersten Titel der Clubgeschichte auf ewig dankbar sein) hat weiter mit seiner Form zu kämpfen: Er spielt unter seinen Möglichkeiten, hält sich in vielen Set-Angriffen bewusst oder unbewusst stark zurück und ist einfach nicht der Killer-Dirkules, den wir kennen und lieben (puh, hohe Ansprüche an einen 35-Jährigen, der 18,3 Punkte, 43,2 % aus dem Feld, 39,4 % von Downtown und 92,5 % (!) von der „Charity-Stripe“ auflegt).

– Monta (sprich MontEY ;-)!) Ellis funktioniert: Er könnte aber vielleicht zu „Mayo 2.0“ mutieren. Herrn O.J. Mayo habe ich im Sommer übrigens eine Träne nachgeweint, bis ich in den letzten drei Spielen via League Pass dabei zusehen durfte, wie er für die Bucks höchstmotiviert (not!) über den Platz turnt, auf seinen gnadenlos schicken Midrange-Shot vertraut, viele Punkte scort, Ballverluste produziert und Spiele verliert. Monta ist dagegen schon ein Upgrade. Ein blitzschneller Guard, der an jedem (ja, Tony Allen, wirklich „an jedem“) Verteidiger dieser Liga vorbeiziehen kann und sich augenscheinlich auch nicht zu wichtig nimmt im Gesamtkonstrukt. So einen Zweier hatten die Mavs seit Ewigkeiten nicht mehr in ihren Reihen! Endlich Zug zum Korb!

Typische Calderon Defense

Typische Calderon Defense

– José Calderon funktioniert nicht: Der Spanier hat bei mir aufgrund seiner Herkunft schon ein schweres Standing (Flopping a la „Espania“ gewinnt eben keinen Schönheitspreis). Ferner ist er ein Einser, der keinen Baumstamm verteidigen kann. Chris Paul, Russell Westbrook, Steph Curry, Eric Bledsoe, Ricky Rubio,  Ty Lawson, Damian Lillard – gute Nacht, José! Die chronische „Too Slow“-Krankheit der Mavs-Playmaker hält damit an. Da kann man nur hoffen, dass Devin Harris irgendwie, irgendwo, irgendwann an seine frühere Zeit anknüpfen kann. Nun, lassen wir das mit den Erwartungen.

– Vince „what the hell are you doing?“ Carter ist in bestechender Form: Es gibt „leider“ diese Spieler in den eigenen Reihen, die einen permanent zur Weißglut treiben. Haben sie den Ball, beginnt der Fan zu zittern. Nick Van Exel und Jerry Stackhouse waren jahrelang meine Paradebeispiele für diese Art von Spielertyp.
Na, Vince, wo ist der Gegner?

Na, Vince, wo ist der Gegner?

Die haben sich Dinge rausgenommen, mal klappte es und mal nicht. Vince Carter knüpft da weiter nahtlos an. Fadeaway-Dreier mit 22 Sekunden auf der Schussuhr? No Problem. Völlig übertriebener angehängter Jubel? No Problem. Den Gegenspieler im Gegenzug aus den Augen verlieren? No Problem. Vince bleibt leider Vince und sorgt damit aber auch für dieses regelmäßige „Genie oder Wahnsinn“-Kribbeln.

Kommen wir zum vorläufigen Fazit: Die Mavs bleiben die Mavs. Keine Defense (103,3 gegnerische PPS; NBA-Rang 23), spektakuläre Offense (106,8 PPS; NBA-Rang 4)! Ellis und auch Calderon (meine Kritik beschränkt sich auf seine nicht vorhandene „D“) sowie die weiteren Zugänge Samuel Dalembert und DeJuan Blair (yes, endlich wieder einen bulligen, nimmermüden Brandon Bass im Team) machen Spaß.
Das Problem? Mit diesem Team gewinnt man Spiele, darf sich jeden Abend auf ein Spiel mit über 200 Punkten freuen, aber kommt eben auch nicht über die erste Playoffrunde hinaus. Es fehlen – und das waren über viele Jahre die zwei großen Schwachstellen im Team – abgezockte Typen mit „Defense-First“-Mentalität (R.I.P. DeShawn Stevenson – ich musste einen meiner All-Time-Mavs hier irgendwo unterbringen).
Es wird also eine spannende Saison mit spektakulären League-Pass-Nächten. Aber das war’s dann wohl auch. Es ist wie seit Jahren mit der Franchise aus Texas. Das Motto eines Fans lautet wie die Spielweise auf dem Court: „Runnin with the Mavs“.
Thomas Huesmann